© | Reisebericht | Übersichtskarte | Links | Rumänien-Bücher | Home     
 
Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Karpaten-Abenteuer
 
 
Das Karpathenschloss
 
Das Karpathenschloss
von Jules Verne
 
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
   
 
Temeswar
 
Temeswar
Symbol der Freiheit
 
Auf das Bild klicken,
um Buch zu bestellen
     
   
Freitag, 20. Oktober
Es hatte nicht sein sollen. Das vereinbarte Treffen mit Marius kommt nicht zustande. Aber wie hätte es anders sein können, wenn ich solche Probleme mit dem Früh­auf­stehen habe? Aber ich fiebere bereits dem nächsten Erlebnis entgegen!
Karpaten-Abenteuer
Eine Straße, die auf der Landkarte als landschaftlich besonders schöne Strecke gekenn­zeichnet ist, führt von Sebeş in Richtung Süden über die Berge. Und tatsächlich sind die ersten Kilometer ein Traum. Die anfangs noch asphaltierte Straße führt am Fluss Sebeş entlang durch wunderbare herbstlich verfärbte Laubwälder, die im Gegenlicht wie Gold leuch­ten. Bis Şugag geht es immer In leichter Steigung den Wasserlauf entlang, und ich bin guten Mutes, doch noch einen Ort zu finden, wo ich ein paar Tage lang kein Len­krad anfassen muss, um stattdessen auf Schusters Rappen die herrliche Bergwelt zu erfor­schen.
Indessen wird aus der asphaltierten Straße sehr bald ein Fleckerlteppich und ich muss die Geschwindigkeit nach und nach drosseln und viel konzentrierter auf die Schlag­lö­cher achten. Das Tal wird enger, der Wald dichter und dunkler. Da es noch sehr früh am Nachmittag ist, überwiegt bei mir aber die Zuversicht, trotz des verlangsamten Tem­pos den üblichen Last-Minute-Stress bei der Zimmersuche vermeiden zu können.
Nach einer Weile kommen mir Zweifel, ob die Straße überhaupt noch asphaltiert ist, so sehr ist sie verstaubt und sogar stellenweise völlig unter einer feuchten Lehmschicht ver­schwunden, die im Gegenlicht blendet. Es geht zwar nicht steil, dafür aber ständig bergauf. Die Straße wird enger, der Wald dunkler, die Schlaglöcher häufiger. Ab und zu kommen mir riesige mit Baumstämmen beladene Laster entgegen. Das beruhigt mich.
Es wird düster, der Landstrich sieht immer einsamer aus, immer seltener bringen mir entgegenkommende Vehikel den Beweis, dass die Straße, inzwischen kaum mehr als ein schmaler Forstweg, nicht in einer Sackgasse enden wird. Zu den Schlaglöchern gesellen sich stellenweise lange Fahrrillen, immer häufiger ist die Fahrbahn schlammig und glit­schig. Die Waldlandschaft ist herrlich, aber von einem gewissen Zeitpunkt an sehe ich sie nicht mehr wirklich. Von Fotografieren ist sowieso keine Rede mehr. Zwischen ei­nem Rütteln und einem Schlammspritzer spukt der abergläubische Gedanke in meinem Kopf, dass der Wald, sollte ich einmal das Auto anhalten, dieses verschlingen und nicht mehr freigeben würde. Ich schaue mit Tunnelblick einzig und allein auf die "Straße", das heißt auf große, kleine, runde, spitze, lose oder fest in der Erde steckende Steine, plötz­lich auftauch­ende tiefe Löcher, Schlamm, Staub, unübersichtliche Kurven, Stei­gun­gen und Abfahrten - und kein Ende. Im Vergleich waren die sieben Kilometer nach Viscri ein Kinderspiel.
Ich fange an zu fürchten, die Reifen oder die Achsen oder irgendetwas am Auto würde nicht mitmachen, oder ich könnte im Schlamm stecken bleiben. Schon sehe ich mich im Auto übernachten, frierend und hungernd. Auf jeder Brücke sind ein paar Meter der Fahrbahn asphaltiert, so dass ich kurz Hoffnung schöpfe, aber ein paar Meter weiter wird alles nur noch schlimmer. Nach unserem Maßstab fahre ich auf einem Wanderweg, aber auf einem, dem der Alpen­ve­rein kein Gütesiegel vergeben würde. Bei Geschwindig­kei­ten zwischen 15 und 20 Stundenkilometern werden kurze Strecken zur Unendlich­keit. Beim jetzt tieferen Son­nestand bin ich auch ab und zu derart geblendet (die Windschutz­scheibe ist völlig verschmiert), dass ich manchmal im Schritttempo fahren muss, um nicht in ein tiefes Loch zu stürzen.
Bin ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg, oder habe ich vielleicht die entschei­den­de Abzweigung übersehen? Immerhin verläuft der Fahrweg immer noch dem inzwi­schen zum Bach verengten Fluss entlang. Endlich: Bei einem Stausee sehe ich zwei Männer neben einem Auto stehen. Ich frage sie nach dem richtigen Weg und sie beruhigen mich. Nur noch 20 Kilometer seien es bis nach Obîrsia Lotrului. Dort soll nämlich laut Landkarte ein Hotel oder eine Hütte stehen. Aber die Zweifel nehmen kein Ende. Würden sie auch bewirtschaftet sein? Immerhin ist es bereits Ende Oktober.
Die Straße entlang der Staumauer ist asphaltiert, so steigt meine Laune, denn ich sehe mich fast am Ende meiner Qual. Aber es wird gleich wieder schlimmer. Ich muss ständig Slalom fahren, um den Löchern, Rillen, Steinen etc. auszuweichen; ein paar Mal schlägt das Auto auf, fast fange ich an, mein Golf zu bewundern, der so tapfer alles mitmacht. Ich bin durchrüttelt und durchschüttelt aber es ist mir plötzlich alles egal. Ich vertraue diesem Auto "made in Germany" und ertrage stoisch Kilometer für Kilometer. Als es aufhört, bergauf zu gehen, sehe ich mich fast am Ziel, obwohl sich der Straßenzustand kaum bessert. Irgendwann bin ich dann doch am Ende der Qual angelangt, am Ende dieser Fahrt durch die totale Einsamkeit, durch Wälder, deren Schönheit ich so gerne genossen hätte. Es ist fast sechs Uhr Abend. Es waren 60 Kilometer Hölle. Als ich Rauch aus dem Schorn­stein der rustikalen Gaststätte in Obîrsia Lotrului aufsteigen sehe, habe ich keinen Gedanken mehr als für ein Zimmer und ein Abendessen.
Als ich Roberto per Handy mein Erlebnis erzähle, kann ich fast sein Schmunzeln durch die Leitung hören. Genau das Gleiche sei ihm nämlich vor zehn Jahren geschehen, da­mals habe er mit einem Fiat Uno die Strecke bewältigt. Offensichtlich hat sich der Straßenzustand seit damals nicht verbessert. Man erzählt, sagt er, dass sich in diesen Wäldern eine Gruppe entlaufener Sträflinge aufhielte. Man lasse sie aber in Ruhe, denn diese unendlichen, gefährlichen Wäldern seien auch eine Art Gefängnis. Wölfe und Bären seien in dieser Gegend auch nicht selten.
Zum Abendessen gibt es - direkt vom Gebirgsbach über die Pfanne auf den Tisch - Forelle, Müllerin Art. Und weil ich vorher noch gerne eine kräftigende warme Suppe hätte, schlägt für mich die Stunde der Wahrheit, genauer gesagt - der Kuttelsuppe. Alternativen gibt es nicht. Sie sei köstlich, gibt mir der Wirt mit Händen, Füßen, drei Wörtern Englisch und vierhundert auf Rumänisch zu verstehen, als er das Zweifeln im meinem Gesichts­ausdruck erkennt. Je länger wir uns dabei in die Augen schauen, desto mehr macht es mich verlegen, abzulehnen, und überhaupt: Nach vier Wochen in diesem Land ist es an der Zeit! Ich bin außerordentlich neugierig, ob nach dem Genuss dieser etwas säuer­lichen, an Knoblauch reichen Suppe das berühmte Zitat aus dem Film "Crocodile Dundee" - es bezieht sich auf Waranfleisch - angebracht sein würde: "Mann kann davon leben - aber es schmeckt beschissen". Meine persönliche Erkenntnis zu dieser aus Rindermagen, Rahm, geschlagenem Eigelb, Essig, Zwiebeln, Knoblauch und Gewürzen zubereiteten Suppe? "Sie schmeckt hervorragend - aber leben möchte ich nicht davon müssen".
Während des Essens beobachte ich vier Männer am Nebentisch. Sie sind in Arbeiter­kluft, ver­schmutzt bis ins Gesicht, mit Visagen, die zu einem Film von Sergio Leone pas­sen wür­den. Besonders zwei von ihnen beeindrucken mich sehr. Der eine hat kohlra­ben­schwar­ze Haare, dichte Augenbrauen, dunkle Schatten auf den Wangen und ein in die Länge gezogenes, hart geschnittenes Gesicht mit einem riesigen Zinken in der Mitte. Träfe man ihn, mit einer Axt über der Schulter, in einem Dunklen Wald, konnte man ein mulmiges Gefühl bekommen. Der andere, von dem ich seltsamerweise den Blick kaum abwenden kann, gleicht einem Verschnitt von Brad Pitt und Charles Bronson mit strohblonden Haare und gutmütigen Augen. Ich kann zwar keine Schlüsse über sein IQ ziehen, aber ich versuche trotzdem, mir vorzustellen, was geschehen wäre, wenn er in einer Metropole des Westens aufgewachsen wäre, in einer bürgerlichen Familie. Wie anders hätte sich sein Leben gestaltet: Er hätte Schauspieler werden können, er hätte die interessantesten Frauen um sich gehabt, er hätte etwas darstellen können. Statt­dessen fällt er Bäume in der dunklen Tiefe der Karpatenwälder.
Einen letzten Eindruck will ich noch in Worte fassen, bevor ich das Kapitel Karpaten­aben­teuer abschließe. Nach dem Essen drängt es mich hinaus, in die pechschwarze Nacht. Wie einen Ritus genieße ich solche seltenen Augenblicke, an denen ich bei völliger Dunkelheit einen funkelnden Sternenhimmel erlebe. Das Zurückdenken an den heutigen Tag, die dunklen Wälder um mich herum, die man zu dieser Stunde mehr ahnen als sehen kann, und die eisige Kälte - ich liebe Kälte, wenn sie nach Abenteuer riecht - lösen ein Glücksgefühl sondergleichen bei mir aus.
Samstag, 21. Oktober
Die Reise geht dem Ende zu
Es geht (rein topographisch) bergab mit mir. Die ersten Kilometer ist die Straße zwar im­mer noch in einem erbärmlichen Zustand, aber es ist mir inzwischen völlig gleich­gültig. Ich bin sogar wieder in der Lage, die Fahrt zu genießen: herrlich, die Herbst­farben, herrlich, die klare Luft, imposant, die Wälder und die Weite der Landschaft. Und plötz­lich - ein Wunder ist ge­schehen - ist die Asphaltdecke wieder da, grau, geschlos­sen, Vertrauen erweckend. Zwar muss ich trotzdem noch auf die sporadischen Schlaglöcher aufpassen, aber es ist jetzt ein ganz anderes Vorwärtskommen.
Schließlich komme ich in der potthässlichen Industriestadt Petroşani an, von wo an ich nur noch auf gut ausgebauten Hauptstraßen zügig in Richtung Westen fahre. Haţeg, Oţelu Roşu, Caransebeş: nichtssagende kleine Ortschaften in einer herrlichen Kulisse. Aber ich kann es nicht lassen: Der Gedanke, noch einmal in einem kleinen idyllischen Ort die Schönheit dieser Berglandschaft aufzusuchen, lässt mich nicht los. So rufe ich Roberto in Bukarest an, um Tipps einzuholen. Und siehe da, er erinnert sich, einmal ein paar Tage an einem kleinem See hier in der Gegend verbracht zu haben. Er denkt eine Weile nach, dann fällt es ihm wieder ein. Es war in Vâliug, zu Deutsch Franzdorf. Der deutsche Name beruht darauf, dass hier einmal die Banater Schwaben zu Hause wa­ren, auch sie, wie ihre Vetter, die Siebenbürger Sachsen, inzwischen mehr­heit­lich nach Deutschland ausgewandert.
Um nach Vâliug zu kommen, muss man über Reşiţa (zu deutsch Reschitz) fahren, eine Stadt, von der eine merkwürdige Faszination auf mich ausgeht. Neben den unvermeid­li­chen Plattenbautenvierteln und zahlreichen Neuzeitklötzen sind noch Straßenzüge er­halten geblieben, die etwas Altmodisches ausstrahlen und außerhalb der Zeit zu stehen scheinen. Sie erinnern mich an die Melancholie mancher Randbezirke Wiens, jedenfalls so wie ich sie aus meine Kinderzeit in Erinnerung habe. Überhaupt, der Geist des alten Österreich-Ungarn scheint auffällig präsent zu sein.
Und weil die Stadt ein immer noch bedeutendes Eisen- und Stahlrevier ist, kommt man nicht umhin, durch eine Hochofen-Landschaft zu fahren, die, so mitten in der Stadt wie sie liegt, zumindest kurios erscheint. Über eine kurvenreiche Straße durch die herbs­tlich verfärbten Ausläufer des Banater Gebirges erreiche ich schließlich in einer knap­pen halben Stunde Vâliug.

Eine Pension gefunden, ausgestiegen, die Koffer ins Zimmer gebracht, und schon bin ich die paar Hundert Meter zum See unterwegs, wo ich gerade noch recht­zeitig ankomme, um direkt am Ufer, auf der menschenleeren Terrasse eines verwaisten Imbissladens, die letzten Sonnenstrahlen zu genießen.

Sonntag, 22. Oktober
Wie das Leben so läuft
Beim Frühstücken unterhalte ich mich ausführlich mit der jungen Chefin. Und damit niemand auf die Idee komme, mein Rumänisch habe in nur wenigen Tagen immense Fortschritte gemacht, liefere ich gleich des Rätsels Lösung. Die junge, attraktive Frau
- warum nur finde ich die Rumäninnen oft so begehrenswert? - lebte jahrelang mit ihrem ebenfalls rumänischen Mann in der Nähe von Frankfurt. Als ihr Vater starb und die Mutter, nunmehr auf sich allein gestellt, die seit kurzem großzügig ausgebaute Pension nicht mehr weiterführen konnte, fühlte sie sich dazu verpflichtet, in die Bresche zu springen. Ihre Worte lassen etwas Resignation und eine gedämpfte Traurigkeit durch­schimmern, als sie mir ihre Geschichte erzählt. Ihre Offenheit und die gespürte Nähe zu ihren Gefühlen lösen bei mir ein seltsames Wirrwarr an Empfindungen aus. Es ist, als würde sich eine wohlige Wärme in meinem Körper ausbreiten, als wäre eine fast familiäre Intimität zwi­schen uns entstanden.
Endspurt
Ich habe mich auf einen kleinen Spaziergang gefreut. Zu Schade, dass am See entlang kein Wanderweg zu finden ist und ich deshalb meine Bandscheiben auf dem harten Asphalt der Uferstraße strapazieren muss. Bald sitze ich deshalb wieder im Auto und erkunde das Seeufer per Motor. Ich will mir ein Bild von Pensionen und Hotels machen
- man weiß ja nie.
Das Angebot hält sich in Grenzen. Im "Gasthof Tirol" kann das Preisniveau problemlos mit jenem einer entsprechenden Herberge im gleichnamigen österreichischen Bundesland mithalten. Wäre da nicht die hübsche Angestellte, mit der ich mich lange auf Deutsch unterhalte, würde ich hier keine Minute verweilen. Faszinierend heimatlich im Ambiente aber rumänisch preiswert ist dagegen die Pension "Haus Hubertus" [ Haus Hubertus ]. Vorstellbar, dass ich bei einer zukünftigen Rumänienreise hier einen Zwischenstopp einlege.
Timişoara
Es trübt sich ein. Bald fängt es auch an, zu tröpfeln. Zeit zum Weiterfahren. Als ich ei­nige Stunden später in Timişoara (Temeschwar) ankomme, herrscht die gleiche düster-graue Atmosphäre wie am Tag meiner Ankunft in Rumänien. Diesmal will ich aber der Stadt, wenn auch nur für einen Nachmittag, eine Chance geben. Temeschwar ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Banats im Westen Rumäniens. Wenn man bedenkt, dass die Stadt wegen ihrer zahlreichen Bauten aus der Kaiserzeit früher als "Klein-Wien'" bezeichnet wurde, kann ich nur mit einen Seufzer "Sic transit gloria mundi" äußern. Nur in wenigen Straßenzügen (beispielsweise im Umfeld des Doms) findet sich dieses an das alte Wien erinnernde, und von mir heiß geliebte Ambiente wieder.
Apropos Kommen und Gehen der Völker. Auf einer Bevölkerung von etwa 330.000 Ein­wohnern kommen ca. 16.000 Italiener, ein Drittel davon aus dem Veneto. Von 13.000 italienischen Unternehmen in Rumänien operieren 1.200 in und um Temeschwar. Kein Wunder also, dass man von der Gegend auch als der "venetischen Provinz" spricht.
 
     
   
 
 
 
 
 
     
Salzburg Siebenbürgen In den Karpaten Salzburg Siebenbürgen In den Karpaten In den Karpaten In den Karpaten In den Karpaten In Reşiţa Hochzeitsgesellschaft Bei Valjug Bei Valjug Gabriela Autowäsche In den S�dkarpaten In den S�dkarpaten In den S�dkarpaten