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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Nach Mediaş (Mediasch)
 
   
 
Rroma
 
Rroma in Rumänien
 
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Freitag, 29. September
Da ich bei meiner gestrigen Ankunft die Parkgebühr bis heute um 12 Uhr bezahlt habe, wundert es mich nicht wenig, dass ich - meine Uhr zeigt erst 11 Uhr 30 - etwas zuzahlen muss. Dann geht mir ein Licht auf: In Rumänien gilt die osteuropäische Zeit, und ich hätte die Uhr um eine Stunde vorstellen müssen. Das erklärt auch die Leere, die beim Frühstücken um mich herum herrschte.
Hilfe, man will mich heiraten
Endlich von jeglichem selbstauferlegten Zeitdruck befreit, fahre ich weiter in Richtung Norden. Die Sonne zeigt sich häufiger als gestern, das Diesigweiße des Himmels ist einem freundlicheren Blau gewichen. Nach wie vor ist von den entfernteren Bergen zwar nicht viel zu sehen, aber ich kann den Anblick der näher gelegenen sanften Hügel­landschaft genießen. Ich bin guter Dinge.
In einem kleinen Weiler auf dem Weg nach Mediaş ist es wieder der Kirchturm, dieses Symbol der Dörflichkeit, der meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich steige aus, schlie­ße die Autotür und stürze mich in die Seitengassen. Die unbefestigten Wege sind holp­rig, voller Furchen, teils staubig und teils noch aufgeweicht vom letzten Regen. Winzig und farbenfroh reihen sich die Häuser der "Ţigani" (ausgesprochen "Tzigani"), wie sich die "Roma" hierzulande selbst nennen, am Weg entlang. In manchem Hinterhof gackern Hühner. Zwei spielende Kinder begaffen mich neugierig. Ein paar alte Frauen mit fest­gezogenen Kopftüchern nehmen mich kaum wahr, obwohl ich in ihre Richtung deutlich und mit betonter Freundlichkeit ein "bună ziua" (Guten Tag) rezitiere. Aber die Neu­gierde auf den merkwürdigen Fremden scheint sich in Grenzen zu halten.
Die Luft riecht leicht nach Holzfeuerrauch, einem Duft, der zuweilen wie ein Zau­ber­trank auf mich wirkt. Bereits homöopathische Mengen davon lösen reflexartige Ge­dan­kengänge bei mir aus, die zwar so vage sind, dass sie schwer in Worte zu fassen sind, an deren Quintessenz ich mich aber mit Begriffen wie "Bodenständigkeit", "Genügsamkeit", "zu Hause sein" und "archaische Welt" annähere. Dabei fallen mir Märchen wie "Das klei­ne Mädchen mit den Schwefelhölzern" von Andersen ein, das England aus den Ro­ma­nen von Dickens, Fachwerkhäuser, Berglandschaften, Sommerfrische auf dem Land, die erst­en Herbstfröste, warme Bauernstuben und offenes Feuer, an dem man sich die Hände wärmt. Rätselhaft sind die Wege zur Erinnerung.
Als ich so gedankenverloren durchs Dorf ziehe, ruft mich aus einem kleinen Garten eine junge Frau zu sich und bittet mich, näher zu treten. Selbstsicher, fast schon heraus­for­dernd, lächelt sie mir zu, während ihre Schwester - kein Zweifel, dass sie das ist - sich zurückhaltender im Hintergrund hält.
Und schon sitze ich in der ärmlichen Wohnstube des Einzimmerhauses und unterhalte mich (!) mit ihnen - kein Wort Rumänisch ich, keine einzige Fremdsprache die Beiden. Das Gespräch - ich kann nur einzelne Wörter, keine Sätze formulieren - ist auf das ständige Blättern im Taschenwörterbuch angewiesen.
Gleichwohl wird mir die Lebenssituation der beiden Frauen sehr schnell klar: Die (wohl ältere) Schwes­ter ist verheiratet und Mutter eines kleinen Kindes; die kesse Simona hin­gegen - sie zeigt mir ihren unberingten Finger - ist ledig. Und weil sie an meinen Händen auch keinen Ring sieht, kommt ihr schnell das Wort "casatori" (heiraten) auf die Lippen, während sie abwechselnd mit dem Zeigefinger auf sich selbst und mich zeigt. Kein Zwei­fel! Ob es ernst gemeint ist oder nur ein Scherz, ist unbedeutend: Es kommt dabei, un­mittelbar, ohne Umschweife und ohne Hemmungen die Sehnsucht zum Ausdruck, aus der grenzenlos engen und armen Welt ihres Heimatdorfes fliehen zu können. Der Char­me eines alten Knackers, wie ich es bin, ist es sicher nicht, der die 21jährige ver­zau­bert.
Mein seit Jahren in Rumänien lebender Neffe erzählte mir einmal ein wahres Märchen.
"Es lebte einst in Bukarest ein ungarischer Diplomat, der weit mehr als die Hälfte seines Lebens bereits Vergangenheit nennen konnte und oft und gerne das Land bereiste. Bei einer sei­ner Autofahrten durch die Dörfer sah er am Wegesrand eine junge Frau von bezauberndem Antlitz, die eine Schar Gänse vor sich her trieb. Sogleich empfand der Mann ein heftiges Verlangen nach der Schönen und stellte sich kurzentschlossen ihren Eltern vor. Die Beiden, die ein Leben in ärmlichsten Verhältnissen führten, gaben be­reit­willig ihr Einverständnis, und auch die junge Frau gab ihrem Traum eines besseren Lebens nach und willigte ein. So nahm der Mann die junge Frau auf der Stelle mit in die Stadt. Fortan lebten sie glücklich und zufrieden zusammen."
Als ich vor kurzem nach dem Ausgang dieses Märchen fragte, hörte ich die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Armut hinter sich gelassen hat und heute in der Stadt ein sicheres Einkommen als Haushälterin des genannten Diplomaten bezieht. Vielleicht winkt ihr dort bereits die nächste, diesmal jüngere Liebe.
Wenn ich an das tiefe Verlangen solch junger Frauen denke, bin ich zu Tränen ge­rührt. Nichts ist ferner von meinen Gedanken, als ihnen zu unterstellen, sie seien nur be­rech­nend. Vielleicht verspüren sie doch eine Art Liebe, eine Dankbarkeitsliebe, eine "Liebe in Zeiten der Not", ein Suchen nach Geborgenheit, die nur deshalb keinen Bestand ha­ben wird, weil die Natur solche ungleichen Beziehungen nicht bestehen lässt.
Zurück ins Jetzt. Nach einer Weile erscheint der Ehemann der Schwester, ein beschei­den auftretender, freundlicher "Ţigan", mit dem kleinen Bub. Es wird Limonade auf­ge­tischt, fotografiert, geplaudert. Je weniger ich verstehe, desto mehr verfestigt sich meine Absicht, Rumänisch zu lernen. Als ich mich schließlich verabschiede, folgt mir Simona zwei Schritte auf den Weg, hält meine Hand - oder bin ich es, der ihre hält? - und wir trennen uns mit Wangenküsschen.
Obwohl mich mein Denkvermögen keinen einzigen Augenblick im Stich gelassen hat, kann ich nicht leugnen, dass mich die Begegnung etwas durcheinander gebracht hat. Simona, ihr Lächeln, ihre Jugend, ihre halbdurchsichtige Bluse ...
Aber es ist nicht nur das. Es ist mehr geschehen, als das, was mir zu Beginn meiner Rei­sen immer geschieht: nach anfänglicher Ermattung und schlechter Laune ein all­mäh­li­ches, von ein paar vom Zufall geschenkten positiven Erlebnissen verursachtes Eintreten von Entkrampfung, dann irgendwann der Moment, in dem mir bewusst wird, dass ich das Reisen genieße und es auf unbestimmte Zeit fortsetzen möchte. Diesmal ist relativ rasch und unerwartet ein Gefühl der Öffnung dazu gekommen, des Präsentseins, der Nähe. So kommt es mir beim Weiterfahren vor, als träte mein Fuß nicht auf das Gaspedal, sondern auf eine Wolke. Es ist, als würde mein Auto in Richtung Mediaş, meiner nächsten Etap­pe, nicht fahren, sondern schweben.
Mediaş (Mediasch)
Atmosphärisch gefällt mir diese Stadt besser als Sibiu. Der Ring hässlicher, herunter­ge­kom­me­ner Nachkriegsarchitektur rund um das historische Zentrum, wie ich es in Sibiu gesehen habe, fehlt nahezu gänzlich. Lediglich die Industrielandschaft entlang der zur Stadt führenden Hauptstraße kann das ästhetische Empfinden eines Anreisenden stö­ren. Die Altstadt ist nicht so aufgedonnert, geschniegelt und gestriegelt, Touristen halten sich eher zufällig hier auf und - es scheint endlich wieder eine durch nichts getrübte Sonne.
Die Stadt wurde, wie die meisten anderen Städte Siebenbürgens, während des Mit­tel­alters stark befestigt. Die Kirchenburg mit der spätgotischen Kirche, sowie die noch gut erhaltene Festung aus dem 13. Jahrhundert stellten das Herzstück dar, um das herum sich die Zitadelle entwickelte. Das mittelalterliche Zentrum der Stadt ist besonders reizvoll durch seine engen, gewundenen Gassen, seinen sehenswerten Türmen (wie der Trompeterturm, der Marienturm und der Schneiderturm), die jahrhundertealten Häuser und den großen Platz zu dem hin die Hauptstraßen der Stadt zusammenlaufen.
Hier, auf dem "großen Markt", findet das Leben und Treiben von Mediasch statt. Es ist eine wunderschöne, große Fußgängerinsel mitten in der Altstadt. Rings um den Platz sind zahlreiche Geschäfte angesiedelt, im Park selbst gibt's wunderschöne Blumeninseln und Bänke zum Ausruhen.
Was fehlt, ist eine kleine Gaststätte oder ein Café, wo ich einen kleinen Imbiss zu mir nehmen und den Ausblick auf diese Idylle genießen könnte. In der Bar mit ein paar Tischen im Freien, wo ich schließlich Platz nehme, gibt es leider nur Getränke.
Als ich vom Nebentisch ein Durcheinander aus Deutsch und Rumänisch höre, ver­mute ich zuerst, die letzten Siebenbürger Sachsen der Stadt entdeckt zu haben, und mische mich beherzt ins Gespräch ein. Es stellt sich aber heraus, dass es sich lediglich um ein deutsch-rumänisches Ehepaar auf Herbsturlaub handelt. Nur die Frau, die vor einigen Jahren nach Deutschlang zog, stammt aus Mediasch, und kennt daher jeden zweiten Passanten. Ihr Gatte, ein Schwabe aus Ravensburg, ist ebenso wie ich auf ihre Über-setzung angewiesen. Schließlich gesellt sich ein älterer Herr zu uns - ich habe inzwi­schen Tisch gewechselt - und ich komme doch noch dazu, mit einem echten, in der Heimat gebliebenen "Sachsen" zu sprechen. Er scheint aber schon einige Gläser ge­trun­ken zu haben. Er spricht zuerst ein paar undeutliche Sätze auf Deutsch, dann schlittert er ins Rumänische und palavert laut mit den anderen Tischgästen. Als er hört, dass ich aus Deutschland komme, rezitiert er stolz ein paar deutsche Sätze, wie "Ein Mann, ein Wort" und grinst dabei über beide Ohren. Als ich mich per Handschlag verabschiede, wiederholt er: " Ein Mann, ein Wort! Ein Mann, ein Wort!"
 
     
   
 
 
 
 
 
     
Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu Sibiu