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Rumänien - Reisebericht von Bernd Zillich
 
 
Agnetheln, Magarei, Meschen
 
 
Geschichte Siebenbürgens
 
Kleine Geschichte Siebenbürgens
von Harald Roth
 
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Abends in Agnita
"Tschetschap?", fragt mich der Kellner. Ich verstehe nicht gleich. Erst als ich das Wort Sos (Soße) höre, geht mir ein Licht auf. Er möchte wissen, ob ich zur Pizza Ketchup wün­sche. "Multumesc, nu" (Danke, nein), beeile ich mich zu sagen. Ich bin abermals der einzige Gast im Restaurant, diesmal in Agnita (Agnetheln), eine vom Schöpfer völlig vergessene Kleinstadt südöstlich von Sibiu. Wie üblich ist der Fernseher eingeschaltet, es läuft ein australischer Dokumentarfilm über Dingos (australische Windhunde) mit rumänischen Untertiteln. Wieder sitzt der Kellner (der Inhaber?) an einem Tisch und plaudert mit einem Freund, denn Gäste zu bedienen gibt es - außer mir - nicht.
Eigentlich wollte ich in einem der kleinen "sächsischen" Dörfern mit einer der be­rühm­ten Kirchenburgen übernachten. Aber leider holte mich mein Schicksal wieder ein, das für alle Ewigkeit bestimmt hat, dass ich erst kurz vorm Eintreten der Dunkelheit zum Suchen einer Schlafgelegenheit komme. Und weil in den Traumdörfern Cincu (Groß­schenk) und Dealu Frumos (Schönberg) nichts "a dormi" und "a mânca" zu finden war, landete ich hier im Städtchen Agnita. Eine freundliche Siebenbürger Sächsin - "wie viele Deutsche es in Agnetheln noch gebe? Wenige!" - verwies mich auf das Hotel Dacia, ein exem­pla­ri­scher Klotz aus der Ceauşescu-Zeit. "Passport please, money please" war der Empfangs­gruß des ausnahmsweise nicht besonders grantigen Mädchen an der Rezeption. Aber was will man für 60 Lei (17 Euro) denn bekommen? Preise vom Ende der Welt! Eine Pizza für 1,70 Euro habe ich auch schon lange nicht mehr gegessen - schon gar nicht eine mit der Ketchup-Option!.
Mittwoch, 18.10
Dächer des Mittelalters
Am nächsten Morgen weckt mich das Geklapper von Pferdehufen. Rasch gehe ich auf den Balkon: Was für ein herrlicher Ausblick auf die Dächer der Stadt! Rauch steigt aus vielen Schornsteinen auf und ein Rest von Morgenrot unterstreicht die eisige Kälte. Geschwind ziehe ich mich an, denn im Zimmer ist es auch nicht viel wärmer und ich bin hun­grig und voller Tatendrang. Einsam sitze ich dann im leeren, schmucklosen Speise­raum und warte darauf, dass jemand meine Anwesenheit bemerkt. Dafür fällt das Früh­stück dann ziemlich reichlich aus.
Das Schicksal der Agnethelner "Sachsen" in der Nachkriegszeit: die bekannte Tragödie! Im Januar 1945 wurde die "arbeitsfähige" deutsche Bevölkerung - wie auch jene anderer von deutschsprachigen Menschen besiedelten Regionen - zur Zwangsarbeit in die So­wjet­union deportiert. Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 folgte das bereits geschilderte Muster: Zuerst wurden die deutschstämmigen Bewohner diskri­mi­niert, zum Teil enteignet und aus ihren Häusern vertrieben, nach 1990 wanderte ein Großteil von ihnen nach Deutschland aus. Es ist erstaunlich, dass es bis heute, trotz der Periode der Benachteiligung und der Auswanderungswelle, muttersprachlich deut-schen Unterricht an Agnethelns Schulen noch gibt.
Pelişor
Meine Reise geht weiter in Richtung Mediasch. Als ich an der langen Reihe von kleinen ein­stöckigen Häusern von Pelişor (Magarei) vorbeifahre und aus den Augenwinkeln he­raus hoch oben auf dem Hügel die alte Kirchenburg erblicke, regt sich sofort etwas in meinem Gemüt. Als mir kurz darauf auch noch ein Pferdefuhrwerk entgegen kommt, kann ich nicht anders, als stehen zu bleiben. In meinen Augen - sicher nicht in jenen der verarmten Dorfbewohner - ist es eine Dorfidylle. Wären da nicht die sporadisch vorbeihuschenden Autos, könnte man meinen, hundert Jahre in die Vergangenheit zurückgekehrt zu sein.
Mittels eines mit viel Fantasie zusammengesetzten Satzes ("a vizita biserica") frage ich zwei Kinder nach einer Möglichkeit, die Kirche zu besichtigen. Prompt werde ich auf ein Haus an der Hauptstraße hingewiesen. Klopfen, eintreten, und schon empfängt mich mit großer Liebenswürdigkeit ein Deutsch sprechender Herr, der mir auch gleich be­stätigt, dass er im Besitz der Kirchenschlüssel sei. Während wir den kleinen Hügel hinauf marschie­ren, offen­bart mir Herr Mild (66), er sei der letzte noch verbliebene "Sachse" im Dorf. Früher habe es 200 sächsische Familien gegeben. Nach und nach, besonders nach der Revolution von 1989, seien alle nach Deutschland ausgewandert. Zurück wolle keiner. Im Sommer kämen zwar viele von den Alten zu Besuch, die Jungen wollten aber nichts mehr davon wissen.
Er schwärmt von früheren Zeiten. Als die Sachsen noch hier gewesen seien, erzählt er, ha­be es viermal soviel Rinder gegeben wie heute. Und die Höfe seien nicht selten ge­we­sen, die sogar drei oder vier Büffel hatten. Heute betrieben nur noch die Rumänen Landwirtschaft, die Zigeuner hingegen arbeiteten kaum, sie setzten nur Kinder in die Welt (im Gegensatz zu den 1-2 Kindern der Rumänen, seien bei ihnen 6 und mehr Kinder pro Familie nicht unüblich). Eines Tages würden sie in Pelişor die Mehrheit bilden. Die in Rumänien geltende Schulpflicht werde für Zigeunerkinder nicht durchgesetzt, man über­lasse sie ihrem Schicksal. Dies sei einer der Gründe, weshalb die Überzahl der heute in Rumänien ansässigen Zigeuner von der Sozialhilfe lebe. Das Betteln sei mithin für sie die einzige Möglichkeit, ihr Los zu verbessern, eine Tätigkeit, die im übrigen unter Zigeunern nicht anrüchig ist.
Als ich auf das einzige komplett renovierte, vornehm wirkende Haus, das etwas erhöht am Hang neben der Hauptstraße thront, hinweise, erfahre ich, dass es sich um das Pfarrhaus handelt, seit 28 Jahren unbewohnt. Seine Renovierung beruhe auf die An­strengungen der evan­gelischen Gemeinde von Mediasch. Der letzte Pfarrer habe 1979 nach gemeindeinternen Streits dieses stille Dorf verlassen. Dennoch werde in Magarei (in einem Raum der Pfarrei) noch regelmäßig Gottesdienst gefeiert, zu dem Sachsen aus verschiedenen Dörfern der Umgebung gebracht würden.
Die Kirche werde bereits seit über fünfzehn Jahren nicht mehr benutzt. Vieles, was an Inventar vorhanden gewesen sei, sei gestohlen worden. Die Orgel sei nach Bukarest gebracht worden. Innen ist die Kirche, die von der Ferne noch einen guten Eindruck auf mich machte, völlig verfallen. Die Stelle, wo früher die Orgel stand - eine abge­kratz­te Wand. Hinter dem Altar nicht einmal ein Kreuz, alle verbliebenen sakralen Gegen­stände seien vor Dieben in Sicherheit gebracht worden. Die Kanzel? Kaum vorzustellen, dass hier einmal ein Pfarrer vor einer größeren Gemeinde seine Predigten hielt. Sic transit gloria mundi! Vor einigen Jahren hätten Berliner Architekturstudenten gegen Kost und Logis das Kirchendach gesichert. Diese Arbeit werde hoffentlich den Verfall der Kirche aufhalten können, seufzt Herr Mild.
Moşna (Meschen)
Vor etwa acht Jahren hatte die ehemals sächsische Gemeinde Meschen die Ehre, einen ranghohen Gast empfangen zu dürfen, den britischen Thronfolger Prinz Charles.
Man kann sich gut vorstellen, wie an jenem Novembertag, schon lange bevor die etwa einen Kilometer lange Autokolonne ins Dorf kam, alles, was Beine hatte, bereits auf dem Marktplatz vor der Kirchenburg versammelt war. Als Prinz Charles später einen Rundgang durch die vom Zahn der Zeit arg angegriffenen Burgmauern machte, klatschten ihm die Dorf­bewohner scheu zu und sie mögen sich gefragt haben, was der Prinz wirklich für die Meschner Kirchenburg würde tun können? Würde er sie sanieren lassen, würde er "wie eine Lokomotive" das internationale Interesse auf die Erhaltung des rumänischen Kul­tur­gutes lenken? Tatsache war, dass daraufhin ein Vertrag mit der Weltbank über die Res­taurierung und Nutzbarmachung von unter anderem vier sächsischen Kirchenburgen unterzeichnen wurde: Birthälm, Honigberg, Deutsch-Weißkirch und eben Meschen. Durch diesen Vertrag verpflichtete sich die rumänische Regierung, 60 Prozent der Sa­nie­rungskosten zu tragen, die Weltbank sollte die restlichen 40 Prozent zuschießen.
Ich frage mich, wie langsam solche Projekte voranschreiten. Denn der Rundgang meiner niederrangigen Person führte zwar zur Erkenntnis, dass diese Kirche nicht dem Verfall überlassen wurde wie jene aus Magarei und dass die Dächer bereits abgedichtet wur­den, aber die Tatsache, dass das Kircheninnere derzeit immer noch ein einzelnes Baugerüst ist, lässt kritische Fragen aufkommen.
 
     
   
 
 
 
 
 
     
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