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30. August
Unterwegs nach Leh
Anfangs fahren wir noch in einer sanften, durch die Farben Zartgrün und Blau gepräg­ten Landschaft, an Obstgärten und Reisfeldern vorbei, im Tal des rauschenden Sindh-Flusses. Gruppen von Chinar- und Walnussbäumen geben dem Tal streckenweise ei­nen fast parkähnlichen Charakter.
In den verstreuten und armselig wirkenden Siedlungen am Straßenrand sieht man kleine Fachwerkhäuser, auf deren flachen Dächern die Holzschindeln längst von Well­blech verdrängt worden sind.
Als der Bus zu steigen anfängt, verliert die Landschaft sehr rasch diesen lieblichen Charakter. Mais verdrängt die Reisfelder, die Farben Braun und Grau werden häufiger, Grün verschwindet allmählich. Weide- und Wiesenland taucht auf, die Gebirgsszenerie wird wuchtig und majestätisch und bekommt alpinen Charakter aber mit ganz anderen Dimensionen als gewohnt.
Man hat den Eindruck, dass auch die tiefsten Täler, in denen reißende türkisfarbene Ströme hinunterrauschen, von unerwarteter Breite wären; die Steine im Flussbett sehen aus, als wären sie von einem Riesen hingeworfen worden, die bizarr ge­wach­senen Stämme der Chinar-Bäume erreichen einen Umfang wie bei uns nur wenige denkmalgeschützte Exemplare, aber es sind vor allem die Bergketten im Hintergrund, die eine Nummer größer wirken, als ich es von Europa kenne.
Immer wieder begegnen wir Militärkonvois. Es staubt und raucht.
Ziegenherden traben am Straßenrand vorbei. Ein kleiner Menschenschlag von noma­di­sierenden Hirten folgt ihnen mit Kind, Kegel und auf Eseln gepacktem Hausrat. Manchmal sieht man ihre Zelte am Straßenrand.
Kurz nach Sonamarg wird die Distriktgrenze von Ladakh überschritten. Hier sind wir zu einem längeren Aufenthalt gezwungen. Zuerst verstehe ich nicht genau warum, dann erfährt man, dass wir auf einen entgegenkommenden Konvoi warten müssen, bevor wir zum Zoji-la-Pass aufbrechen dürfen.
Aus solchen Verzögerungen, sowie aus den wiederholten Aufenthalten an Militär­kon­troll­stellen (Ladakh war bis 1974 Sperrgebiet und hat heute noch eine Präsenz von 200.000 Soldaten) und den häufigen und mühsamen Überholmanövern von schweren Lastern erklärt sich die angekündigte lange Fahrzeit nach Leh (man braucht 2 Tage für 448 Km).
Auf dem großen Parkplatz stehen Dutzende von Lastwagen, Bussen und Militär­fahr­zeu­gen startbereit. Als die letzten entgegenkommenden Laster die Stelle passieren, bricht ein wilder Wettlauf auf die besten Plätze in der Kolonne aus; hundert Fahrzeuge star­ten gleichzeitig, hupend, brummend und Russ spuckend und verwandeln den Parkplatz in eine schwarze Abgashölle.
In kurzem Abstand quälen sich nun die Fahrzeuge die Pass-Straße hinauf. Im Bus riecht es nach Russ, Staub und Schweiß, so dass man sich streckenweise die Nase und den Mund mit einem Taschentuch zuhalten muss.
Rechts von uns, weit, weit unten fließt der Sindh in seinem tiefen Tal. Die Straße, an­fangs noch geteert und weiter oben immer mehr zur steinigen Schotterstraße ver­kom­men, durch Geröll oder Bergrutsche an vielen Stellen eingeengt, läuft direkt am Rande eines Abgrunds, der immer bedrohlicher wirkt. Unser Bus fährt manchmal bis einen halben Meter an den Abgrund heran, und die holperige Strecke durchschüttelt uns sehr oft gerade an den gefährlichsten Stellen. Straßenschilder warnen: "NO HURRY NO WORRY" und "BEWARE OF SHOOTING STONES".
Endlich, nach unzähligen Spitzkehren ("first attack to Zoji-la", "second attack" etc. genannt) erreichen wir die Passhöhe (3529 Meter).
Die Landschaft hat sich schlagartig verändert. Trocken, karg und steinig öffnet sie sich vor unseren Augen: Erst vermitteln die abgerundeten Bergrücken noch einen Eindruck von Weite, dann verläuft die Straße zunehmend zwischen steilen Felswänden und tie­fen Schluchten, und ich sehe mich an das wilde Kurdistan der Karl-May-Romane erinnert.
Die Luft ist lau und klar. Wir schlucken den Staub, den wir selbst aufwirbeln. Seit der Passhöhe des Zoji-La (La bedeutet übrigens "Pass" auf Tibetisch) geht es durch das Quellgebiet des Dras-Flusses, in dessen Tal die Straße verläuft. Der Fluss fließt jetzt in Fahrtrichtung, um weiter nördlich bei Kargil in den Indus zu münden.
In der Ortschaft Dras gibt es wieder eine Passkontrolle mit entsprechend langer War­te­zeit! Im grellen, kristallklaren Licht des Nachmittags, in der trockenen, warmen Luft würde man kaum vermuten, dass es sich hier um den Kältepol Indiens handelt.
Bei Einbruch der Dunkelheit kommen wir, müde und verstaubt, in Kargil an. Alle Busse von und nach Leh müssen hier übernachten.
In diesem Vorposten des Islams schleppen wir uns noch eilig in eine dunkle, Restau­rant genannte Spelunke, dann heißt es, die wenigen Stunden vor der Weiterfahrt noch etwas zu schlafen. Morgen Früh soll es noch vor Tagesanbruch weiter gehen.
Annonce im Restaurant: "KISSING IS INJURIOUS TO HEALTH AS IT IS THE EXCHANGE OF GERMS". Auf der Speisekarte unter "Italian specialties" findet man "CHICKEN SPAGHETTI, MUTTON SPAGHETTI, VEGETABLE SPAGHETTI".


31. August
Kargil - Leh
Hotel Tourist Marjina 4 Uhr 30. Es klopft an die Tür: "Good morning Sir!", hören wir im Halbschlaf. Wir ziehen uns in Eile an, packen unsere vier Sachen, dann bestellen wir uns Omelettes und Tee zum Frühstück.
Kurz nach 5 Uhr sind wir am Klapper-Bus. Pardon, ich wollte sagen: an der "Deluxe Coach", auf deren Dach die Passagiere wie selbstverständlich ihr Gepäck selbst hochtragen müssen.
So beginnt unsere zweite Tagesetappe im Morgengrauen. Wir fahren an einem breiten, grünen Tal vorbei, dann gleich bergaufwärts zu einer weitatmigen Aussicht. Es wird, ich kann es hier vorwegnehmen, die großartigste Landschaft, die ich je gesehen habe: Es sind Tirol, die Osttürkei und das Isländische Oberland zusammengefasst und po­ten­ziert. Die Religionsgrenze zwischen dem islamisch geprägten Kaschmir und dem bud­dhi­stischen Ladakh verläuft, angekündigt von den im Wind wehenden Gebetsfahnen, hier in der Umgebung von Kargil.
Etwa 40 Kilometer in Richtung Leh, bei Mulbekh, sieht man, direkt rechts an der Stra­ße, die, in jedem Reiseführer erwähnte, in den Felsen geschlagene mächtige Figur Maitreyas, des 5. Buddhas.
Von Mulbekh aus, wo wir eine kurze Rast einlegen, führt die Straße durch eine richtige Sanddünenlandschaft an brauner Bergwüste vorbei und steigt dann allmählich zum 3718 Meter hohen Namika-La auf. Immer wieder fahren wir an Furcht erregenden Abgründen vorbei ("MY CURVES ARE GORGEOUS, GO OVER THEM SLOWLY", mahnt ein Straßenschild), atmen Staub und Russ ein, sehen die Flüsse tief unten im Tal und die zackigen Sägen der Berge im Hintergrund. Dann windet sich die Straße zum 4094 Meter hohen Fatu-La, einem immer kühlen und windigen Pass hinauf. Ein Tschörten (Reliquienschrein) mit Gebetsfahnen krönt die Passhöhe, wo wir uns kurz aufhalten.
Nicht lange nach diesem höchsten Punkt unserer Reise erreichen wir das Lamayuru-Gompa (Gompa bedeutet Kloster). Leider ist auch hier für eine Besichtigung keine Zeit vorgesehen, wir müssen weiter. Mein Foto­gra­fen­herz weint, weil ich diese Schönheiten nicht festhalten kann, außer mit den wenigen gestohlenen Bildern, die ich erhasche, wenn der Bus zur Tee- oder Lunchpause hält, oder wenn die Stra­ße durch Straßenarbeiten gesperrt ist.
Und weiter geht es durch eine von Kurve zu Kurve immer unglaublichere Landschaft von schroffen Berggestalten verschiedenster Farbnuancen und formreicher Ge­steins­for­ma­tionen. Tiefer und tiefer in wilden kühn angelegten Serpentinen geht es jetzt ins Industal hinunter. Der Indus ist an dieser Stelle ein breiter, reißender, schmutzig-brauner Strom.
Schon wieder eine Polizeikontrolle: Beim "POLICE CHECK POST KHALSI" müssen, in der größten Mittagshitze, alle Reisenden aussteigen, den Pass herzeigen und in ein dickes Buch - das vermutlich niemand jemals lesen wird - zum wiederholten Mal Name, Adresse, Passnummer, Visanummer und Reiseziel eintragen. Obwohl wir uns auf einer Höhe von ca. 3500 Metern befinden, ist es erstaunlich warm.
Die klare, extrem trockene Luft wäre ohne den leichten Wind kaum zu er­tra­gen. Das Licht blendet, das Wasser des Flusses rauscht, sonst ist absolute Stil­le. Nur die Ohren dröhnen ein wenig von dem häufigen Auf und Ab.
"START EARLY, DRIVE SLOWLY, ARRIVE SAFELY", "ACCIDENTS ARE PROHIBITED ON THIS ROAD".
Was helfen die guten Ratschläge, wenn die Technik versagt? Der Motor unserer "Deluxe Coach" stirbt öfters ab; so heißt es - anschieben.

Leh, abends
"Today no light", sagt uns die Inhaberin des Antelope Guest House mit einem breiten Lächeln; "Two days no light, one day light". Und so sitzen wir im kleinen Restaurant beim Licht einer Kerze und warten auf das Abendessen. Ein heißer Tee wird uns ge­bracht. Welch eine Wohltat! Als Zuckerdose fungiert der abgeschnittene Boden einer Plastikflasche.
Die tausend Eindrücke des Tages und allerlei Gedanken schwirren mir durch den Kopf: Mir geht es erstaunlich gut, ich habe klare Gedanken, einen durchgeschüttelten Kör­per, eine angenehme Müdigkeit und kaum Anzeichen der befürchteten Höhen­krank­heit.
Nach der unglaublich kontrastreichen Szenerie, die wir in den zwei Anreisetagen erlebten, war Leh, jedenfalls der erste Eindruck davon, eher eine Enttäuschung. Bereits die letzten 50 Kilometer hatten etwas von der Vielfalt und Größe der Land­schaft eingebüßt, das schmale Industal hatte sich in eine große, unfruchtbare Ebene verwandelt, bestehend aus Geröll und aus den Ablagerungen der Flüsse; die fernen Bergrücken waren runder und sanfter geworden und die Farben hatten sich auf ein eintöniges, helles Graubraun reduziert.
Die Straße nach Leh wurde nach dem Chinesish-Indischen Grenzkrieg für einen bes­se­ren militärischen Nachschub ausgebaut; seit 1974 ist sie für den Tourismus geöffnet. So erstreckt sich heute rechts und links der Zufahrtstraße ein riesiges Militärlager mit Zelten, Stacheldraht und Baracken. Der Flughafen, mit dem exotischen Charme seiner Rollfelder und Abfertigungshallen, liegt direkt am Stadtrand. Drum herum ist eine trost­lo­se, in das Land eingefressene Stadtperipherie.
In den Straßen der etwas höher gelegen Altstadt fällt sofort auf, dass ebenso viele Inder wie Ladakhis zu sehen sind - wird diese Kultur durch die Besatzungsmacht Indien gefährdet? Im Lärm und im Staub zwischen Bushaltestelle und Verkaufsbuden werben hingegen Dutzende von Touristen mit ihren schmutzigen und schweren Rucksäcken für eine noch gefährlichere und fremdere Lebensart.
Wir kamen bei all der Müdigkeit und dem schweren Gepäck auf dem Buckel nicht drum herum: wir muss­ten für ein Taxi einen Fantasiepreis bezahlen. So war mir - während wir uns unlustig von Her­ber­ge zu Herberge kutschieren ließen - eher danach, gleich wieder wegzufahren. Ich hatte doch gehofft, hier wäre man ganz, ganz weit weg von allem.
Aber dann fanden wir doch noch, nach einer klei­nen Irrfahrt zwischen Zumutung und Unverschämt­heit, dieses niedliche, aparte Hotel mit seinem an­sprechenden klei­nen Garten und der freundlichen Wirtin mit den lachenden weißen Zähnen.
Das Zimmer ist zwar ohne Bad, der Duschraum mit Plumpsklo bietet auch nur Hygiene im bekannten "indian style", aber mir ist es trotzdem recht.
Elektrischen Strom gibt es heute für uns Gäste, wie bereits erwähnt, auch nicht. Ein lautes Stromaggregat versorgt nur ein Zimmer (das der Inhaber, vermutlich) mit Licht. Als ich nachts aus der Toilette herauskomme, stolpere ich über einen Draht und - auch dieses Licht geht aus. Gute Nacht.

 

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