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Mein Havanna. Geschichten über die Liebe zur Stadt
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Havanna, 16. Februar, 6 Uhr 48

Tschwiep, tschwiep, tschwiep, zrp, zrp, zwitschertes zum Fenster herein.
Seit mehr als einer Stunde bin ich wach. Ans Schlafen ist nicht mehr zu denken, denn für meine innere Uhr gilt immer noch die mitteleuropäische Zeit, nach der es bald ein Uhr Mittag ist, und selbst die Reste der bleiernen Müdigkeit von gestern Abend können nichts mehr dagegen ausrichten. Zumal auch der erste Verkehrslärm und das Klappern von Geschirr aus der Küche in mein Zimmer drängen.
Durch die schmalen Spalten der Rollläden kann ich, inmitten eines grau-rosa Dunstes, das kaum noch das Meer dahinter und die Uferpromenade des Malecon erahnen lässt, das imposante Gebäude des Hotel National erkennen. Und während ich es - noch halb verschlafen - eine Weile lang wie in Trance beobachte, taucht in meinem Bewusstsein ein Gedanke auf, der allmählich deutlicher und packender wird: "Es ist wahr! Ich bin in Havanna!".

Nach dem Frühstück, 10 Uhr

Ob ich ins Internet dürfe, frage ich Carolina nach dem Frühstück, im dringenden Bestreben, meine Ankunft in Kuba per E-Mail zu Hause bekannt zu machen. Sie erwidert freundlichst, dass es gerade ungünstig sei. Denn ihr Mann schlafe noch. Er sei erst um 5 Uhr ins Bett gegangen, weil er auf den reibungslosen Abgang der chicas warten musste, die spät nachts von den Amerikanern mit aufs Zimmer genommen worden waren.
Das Land entwickelt in zunehmendem Maße einen Prostitutionstourismus a la Thailand, den Castro einzudämmen versucht. Allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Seit 1996 ist es beispielsweise Ausländern verboten, Kubanerinnen ins Hotelzimmer mitzunehmen. Was allerdings nur dazu führte, dass die Privatzimmer-Angebote boomten. 1999 gab es in Havanna und in Varadero (das größte Touristengetto des Landes) ein scharfes Durchgreifen von Seiten der Polizei. Tausende Prostituierte landeten im Gefängnis oder wurden zurück in ihre Heimatdörfer verfrachtet.
Dieser, vom Tourismus verursachteten "Kommerzialisierung" begegnet man unentwegt. Im Hotelumfeld wimmelt es nur so von Schleppern, die den Touristen auf Schrittund Tritt beschatten. "De dondé eres?" (von wo bist du?), "cómo te llamas?" (wie heißt du?), "quie­res tabaccos, puros, paladar, casa par­ti­cu­lar; ron; una chica?" (willst du Zigarren, ein privates Res­tau­rant, eine Privatunterkunft, Rum, ein Mädchen?). Sie finden gleich heraus, wel­cher Nationalität man ist und sofort erfinden sie eine Ge­schichte (die genauso wahr sein könnte) von einem Bruder aus Cadiz, einem Onkel aus Pordenone oder einem Cousin aus Miami. Zeigt man sich aber desinteressiert, ist man diese "Vermittler" auch bald wieder los, sie möchten nur ungern auffällig werden.

Wieder in die Altstadt

Roberto und ich beschließen, wieder zu Fuß aber diesmal abseits der Meerpromenade in die Stadt zu gehen.
Auf den Straßen wimmelt es von Menschen, die - anders als in den von Touristen stark fre­quen­tierten Gegenden - den Fremden kaum wahrzunehmen scheinen. Nur ab und zu findet ein Blick oder ein Lächeln den Weg zu uns.
Dennoch wächst in mir das Gefühl, allmählich Kontakt mit dieser Stadt aufzunehmen. Ein alter amerikanischer Straßenkreuzer, Schlange stehende Menschen, spielende Kinder, streunende Hunde, ein Gemüsemarkt an der Straßenecke, die bunten, abbröckelnden Fassaden - es ist das Havanna, das ich sehr gut aus dem Film "Buena Vista Social Club" und meiner Fantasie kenne.
Die Altstadt mit ihren Palästen und prunkvollen Herrschaftshäusern mit Balkons, Arkaden und schönen Innen­­fen im Stil der spanischen Kolo­nial­architektur erwacht durch die laufende Renovierung lang­sam wieder zu ihrem alten Glanz. Viele der kolonialen Pracht­bauten sind heute Hotels mit wunderschönen Eingangs­hal­len, Restaurants und Cafes. Doch wegen der 40-jährigen Untätigkeit ist der Ver­such, den Abriss der Stadt auf­zu­hal­ten, eine gewaltige, vielleicht hoffnungslose Aufgabe. Denn auch in der historischen Altstadt kommt die Restaurierung für manche Gebäude bereits zu spät. Ruinen und halb zusammengestürzte Gebäude gehören zum Stadtbild.

Ein regenreicher Nachmittag

Von einem Platzregen erwischt, gelingt es uns gerade noch in einem überdachten Café im Freien den letzten Tisch zu ergattern. Bei den Preisen ist es kein Wunder, dass wir Touristen unter uns bleiben, aber Obstsalat, ensalada de pollo (Geflügelsalat), ein kühles Bier und die kleine Musikgruppe machen den Auf­ent­halt angenehm. Unter den Arkaden an der Plaza de Armas tanzt auch noch eine Fo­lklo­re­gruppe auf Stelzen bei tem­pe­ra­ment­voller Musik.
Als der Regen aufhört, überbrücken wir die Zeit bis zum nächsten Treffen mit Aldo mit dem Besuch der Plaza de La Catedral, wo sich Scharen von Touristen in verschiedenen Cafés aufhalten und kubanische Musiker sich für bares ablichten lassen - die Atmosphäre ähnelt sehr stark der des Markusplatzes in Venedig.
Gegen 17 Uhr sind wir wieder bei Aldo. Nach einem gescheiterten Versuch, Julia zu fotografieren - bis sie sich für das richtige Kleid entschieden hat, ist der Platz vor dem Haus bereits im Schatten -, beschließen wir, wieder alle im Restaurant "A Prado y Neptuno" zu essen.
Obwohl wir nur zehn Meter vom Restaurant entfernt geparkt haben, hindert uns der starke Regen am Aussteigen. Bereits nach dem zweiten Schritt wären wir völlig durchnässt. So springt Aldo, der sich ja als Gastgeber sieht, beherzt hinaus, läuft so schnell er kann zum Eingang, macht einen Portier in roter Livree auf uns aufmerksam, lässt sich einen Schirm geben und rennt mit diesem zum Auto zurück. Jetzt lotst uns der Portier zu einem Parkplatz direkt vor dem Gebäude. Aber die rettende Arkadenzeile ist bei dieser Regenwand noch immer nicht nahe genug.
Endlich taucht der Livrierte - sein Hemd ist bereits patschnass - mit einem großen Schirm auf, wir steigen aus, machen einen großer Sprung, und lassen uns endlich ins Trockene führen.
Diesmal lasse ich mich auf kein Risiko ein und bestelle eine Pizza.
Zug um Zug schließen sich uns auch ein paar Italienische Freunde von Aldo an. Saverio, ein hochgewachsener, graumeliert Toskaner mit Pferdeschwanz und Ohrring ist der Chef des Lokales. Giuseppe ein kleiner, freundlicher Mann, der in einem Reisebüro im Vedado arbeitet. Er schildert mir minuziös einige Etappen seines Lebens fern der italienischen Heimat. Nach Jahren in Venezuela und der Karibik lebt er nun völlig zufrieden seit neunzehn Jahren in Havanna. Armando, ein hagerer Endvierziger mit Gabriere-Ferzetti-Charme soll der novio (Verlobte) der 17-jährigen Freundin von Julia sein. Man flüstert mir zu, er sei ein verkrachter Chirurg aus Mailand, der in illegale Abtreibungen verwickelt gewesen sein soll.
Manchmal schwenkt mein Blick unwillkürlich zum Nebentisch, an dem ein weißhaariger Dicker einem bildhübschen Mädchen gegenüber sitzt, die nicht älter als 20 zu sein scheint. Sie wirkt gelangweilt, manchmal schenkt sie ihrem Gegenüber ein erzwungen wirkendes Lächeln, dann lächelt sie zu einen anderen Tisch hinüber, um schließlich wieder in Teilnahmslosigkeit zu versinken - merkwürdige Frauenwelt.