Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Die Brücke über die Drina
Finale in den Karpaten
   
 
Rumänien
 
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Romania
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Karpaten!
Habe ich das nicht schon einmal erlebt? Die zackigen Gipfel ferner Berge vor meinen Augen, eine Straße, die direkt auf diese zufährt und ein strahlend blauer Himmel, der sich darüber wölbt und mich träumen lässt. Diesmal ist das Retezat-Gebirge (Munţii Retezat) im westlichen Teil der Süd­karpaten das Objekt meiner Sehnsucht. In meinen Gedanken - und nur dort - sehe ich einen kleiner Ort, der wie geschaffen ist für ein paar Tage Erholung.
Als ich von der Hauptstraße, die von Haţeg nach Caransebeş führt, in die Straße einbiege, die am Riul Mare entlang zum Nationalpark bringt, ist die Welt noch in Ordnung, meine Zuversicht groß. Doch bald kommen, in Form von Hochspannungsleitungen, die den Flusslauf flankieren, die ersten Warnsignale. Kilometer um Kilometer nehmen die Gittermaste der Stromleitungen dem wild be­wachsenen Tal seine Ursprünglichkeit und - wo sollten sie auch anders hin? – ma­chen keine An­stalt, zu verschwinden. Merkwürdigerweise geht es auch kaum bergauf, ich fahre ununterbrochen in einem eng eingeschnittenen Tal. Kurve nach Kurve bleibt die Aussicht fast identisch, weil nur auf die Straße und die dicht bewaldeten Hänge beschränkt. Das große Überraschungserlebnis eines sich plötzlich öffnenden Tales, der die Sicht auf aufregende Zweitausender freigibt, bleibt aus. Stattdessen ab und zu ein paar Pensionen am Straßenrand und Sommerhäuser ohne Charakter, die niemals zu einem richtigen Ort zusammenwachsen. Das einzig "Aufregende" ist der Zustand der Straße, der mit jedem Kilometer schlimmer wird, bis sie nur eine Folge von abbröckelnden Betonplatten wird, an deren Rändern der Steinschlag der letzten zehn Jahr liegen geblieben ist.
Das Gran Finale scheint die nackte Mauer eines riesigen Staudamms zu sein, der plötzlich vor meiner Nase auftaucht. Gewissermaßen das Ende der Welt. Doch diese Parodie einer Straße führt weiter, in langen Serpentinen hinauf auf den Damm. Der berauschende Blick auf den erwarteten Stausee fällt leider aus, da dieser bisher kaum aufgefüllt ist. Zwar führt die Straße, jetzt nur als Schot­ter­weg, weiter zu einem nicht näher spezifizierten Rotunda, aber ich habe mich schon einmal im Nichts verfahren, das muss sich heute nicht wiederholen. Auf die Wildnis bin ich nicht wirklich eingestellt.
Also fahre ich den ganzen Weg wieder zurück, an der Hauptstraße weiter und zweige – neues Spiel, neuer Versuch – kurz vor Oţelu Roşu in Richtung Poiana Marului links ab. Bis auf die Hoch­span­nungsleitungen, die diesmal glücklicherweise fehlen, wiederholt sich das Muster des langen Fahrens im engen Flusstal. Genauso stehe ich in der Folge vor der Mauer eines rie­si­gen Stau­damms. Wie beim ersten Mal fahre ich, zwar etwas skeptisch, weiter. Aber diesmal – hurra! -  ist der Stausee großartig, die Aussicht überwältigend. Am Rand des Dammes steht ein Ka­bäus­chen mit einem bewaffneten Wächter – zum Schutz vor den Terroristen der Transsilvanischen Befrei­ungs­front, vermute ich! Gleich daneben ein Schild "Fotografieren und Filmen verboten". Die Her­ren, die – noch ganz im Sinne des Kalten Krieges - Spionage und Sabotage wittern und das Verbot aus­ge­sprochen haben, haben wohl noch nie etwas von Google Earth gehört!
Ich fahre diesmal auf der Betonpiste weiter und erreiche an deren Ende tatsächlich eine Ortschaft. Diese ist wunderschön gelegen, wenn sie auch wie üblich nur aus vereinzelten Häusern bunt­ge­mischter Stilart besteht. Ich entscheide mich für eine Pension, die eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem Salzburger Jagdschlössl hat.
Angekommen
Als ich meine Brieftasche inspiziere, wird mir, da in der Pension Poiana Marului keine Kre­dit­kar­ten an­ge­nommen werden und es im Ort weder eine Bank noch ein Bankautomaten gibt, sofort klar, dass ich hier höchstens drei Mal übernachten werden kannn. Ich muss mit meinem letzten Bargeld auskommen. So beschließe ich, dass dies der sanfte Ausklang dieser Reise sein wird. Kein innerer Zwang zum Fotografieren mehr, kein wirkliches Bedürfnis nach Kontakten. Das echte Ru­mänien, denke ich, ist sowieso nur unten im Tal, hier ist Touristenland: Pensionen, kitschige Hotels und Wochenendhäuser haben die kleinen einstöckigen Häuser der transsilvanischen Dörfer ersetzt, kleinbürgerliche Familien die alten, dunkel angezogenen Frauen mit Kopftuch, die Zigeuner und die Kinder, die am Straßenrand spielen. Pferdefuhrwerke haben hier nichts zu suchen. Es ist, inmitten einer wunderschönen, unangetasteter Mittelgebirgslandschaft, eine künstliche Welt, selbst der Stausee – was sonst? - ist künstlich.
Die Kommunikation mit der sympathischen Kellnerin ist einfach: "şniţel de pui?", "şniţel de pork", "kartofi natur", "bere". Sie lächelt mich so freundlich mit ihrem ziemlich ramponierten Gebiss an, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Draußen an einem holzüberdachten Tisch mit Blick auf Grillplatz und Berge zu sitzen ist ein Traum an so einem lauen Sommerabend. Vögel flitzen durch die Luft, ein Greifvogel trägt irgend ein zappelndes Lebewesen in seinen Krallen. Frei­lauf­en­de Hühner gackern um die Wette.
Kein Zweifel, ich bin immer noch in Rumänien. Nach dem Nachtmahl sitze ich am Ufer des Stau­sees und lausche meinem Abendkonzert. Zu Hunderten quaken, gurgeln und kreischen die Frösche im brackigen Wasser. Es klingt wie das Lachen von Hexen oder das schrille Zwitschern von ver­rückt gewordenen Vögel oder das durch Lautsprecher verstärkte Zirpen von Grillen. Manche Frö­sche gackern wie Hühner, bei anderen klingt es wie ein Brummen, es ist eine Kakophonie, die nur zu ertragen ist, wenn man es als ein Wunder der Natur betrachtet. Ich meine sogar, den lautesten dieser Amphibien erspäht zu haben, wie er seine Schallblasen aufbläst, um seinen Paarungsruf zu erzeugen. Was an dieser Szene spe­ziell rumänisch sein soll? Eigentlich nichts, außer man zieht auch die leeren Plastikflaschen, Bier­büch­sen und all den sonstigen Müll ins Kalkül, die das Ufer verschandeln, disziplinlos in der Natur entsorgt, wie es in diesem Land üblich ist. Diese Stufe der Zivilisation hat dieses Volk noch nicht erklommen. Vielleicht trägt zu diesem Verhalten auch bei, dass es in Rumänien, im Gegensatz zum entwickelten Mitteleuropa, Natur noch im Überfluss gibt.
Mittwoch, 18. Juni
Ein kleines Ärgernis
Mann sollte niemals den Tag vor dem Abend loben. Als ich gestern - alles geregelt, alles in Butter - den Tag ausklingen ließ, genügte ein Blick ins Portemonnaie und ein kurzer Schreckmoment, um mich eines Bessern zu belehren. Nanu, was waren das für Schlüssel? Schlagartig wurde mir klar, dass es sich um die von meiner Unterkunft in Wurmloch handelte. Ich will keinesfalls behaupten, ich sei von höchster Freude in tiefste Verzweiflung gestürzt, aber dieses gewisse Etwas, das ich mit Glückseligkeit auf Erden assoziierte, war auf einem Schlag dahin. Es gibt aber immer die prak­ti­sche Seite bei allen Dingen, sie lösen so manchen inneren Knoten auf: Ich rief kurzer­hand Vasile am Mobiltelefon an und wir vereinbarten, dass ich ihm die Schlüssel per Post schicken würde.
Nach Oţelu Roşu
So nehme ich es auf mich und fahre an diesem überraschenderweise wieder wolkenverhangenem Morgen in Richtung Oţelu Roşu, um die Angelegenheit zu erledigen. Unterwegs nehme ich zwei An­halter mit, die mir, ich hätte es nicht anders erwartet, am Ende der Fahrt ein paar Scheine reichen. Selbstverständlich verlange ich wie üblich, mit strenger Miene, ein Vielfaches dieser Summe!
Jetzt muss ich nur noch das nötige für den Postversand besorgen. Aber wie um Herrgottswillen sagt man Briefumschlag auf Rumänisch? Die wissenschaftliche Methode würde mir empfehlen, ein "tul" an das entsprechende Wort lateinischen Ursprungs anzuhängen, in diesem Fall also kouvertul. Aber wie verständlich wird dann "wattiertul kouvertul" sein? Wie auch immer, ich finde was ich brauche. Als ich beim Bezahlen die Zahl 30 auf dem Taschenrechner gezeigt bekomme, vergesse ich für einen Augenblick, das die zweite Stelle, in diesem Fall also die Null, immer ein Komma da­vor impliziert. Es handelt sich also nur um 3,0 Lei. Im Postamt hingegen ist der Fall schnell erle­digt, da man zu "eingeschrieben", ähnlich wie im Italienischen "recomandat" sagt.
Als ich zurückfahre, ist wieder herrliches Wetter. Ich kann es bei offenem Fenster genießen und mich ausschließlich auf die Straße konzentrieren. Was so einfach klingt, ist es partout nicht, denn diese "strada" hat so ihre Tücken. Man fahrt nämlich nicht auf Asphalt, sondern auf Zementplatten, und diese stammen zweifelsohne noch aus der Zeit der Daker. Das Fahren wird zum Slalom, denn häufig vorkommende tiefe Schlaglöcher in der Fahrbahn empfehlen die Benutzung der jeweils besser erhaltenen Spur. Problematisch wird es bei dieser Fahrweise nur in den Kurven, denn man kann niemals damit rechnen, dass ein entgegen kommendes Auto die korrekte Spur benutzt. Nur in dem Fall, dass beide Fahrer gleichzeitig auf ihre linke Spur ausgewichen sind, ergäbe sich eine gefahrenlose Situation, entspräche das doch einer vorübergehend "britischen" Verkehrsregelung.
Die Fahrbahn lässt mich manchmal, mit ihren tiefen, langen Rissen, an die Folgen eines Erdbebens denken, ein anderes Mal meine ich, die zerstückelten Schollen einer Eisschmelze im Frühjahr zu erleben. Entsprechend sportlich resultiert das Fahrerlebnis. Wenn hin und her geschüttelt zu wer­den ein Sport wäre, hätte ich mein tägliches Pensum bereits erfüllt. Wegen mancher tieferen Rillen zwischen zwei Zementplatten ist das Auf-und-ab-Rütteln so stark, dass der Gedanke nahe läge, für die Autozulassung in Rumänien auch Airbags an der Decke zur Pflicht zu machen. Zu den rumä­ni­schen Straßen fällt mir ein Spruch des ehemaligen indischen Premierminister Vajpayee ein: "Es ist ja nicht so, dass die Straßen bei uns nur zu viele Schlaglöcher hätten. Bei uns gibt es nur Schlag­löcher mit ein wenig Straße drum herum".
Ausklang
Die Bedienung - oder ist sie vielleicht die Chefin? - hat etwas Eigenartiges in ihrem Verhalten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das erklären konnte: Nicht nur, dass die Art, wie sie sich gibt, et­was jugendlich Freches an sich hat, und ihr Lächeln anhaltend und ansteckend ist, es ist vor allem die geringe Distanz, die sie zum Gesprächspartner hält, die ich als Mitteleuropäer unge­wöhn­lich finde. Diese Nähe hat etwas Komplizenhaftes, Intimes, sie lässt fälschlicherweise den Eindruck ent­ste­hen, dass man uralte Freunde sei.
Mein letzter, mit allen Sinnen ausgekosteter Spaziergang zum See versetzt mich in eine sanfte Abschiedsmelancholie. Über die Landschaft herrscht eine unübertreffliche Atmosphäre: Gewit­ter­wolken machen den Himmel bedrohlich, und vom See her, auf dessen Oberfläche ein dünner Regen tanzende Muster zaubert, weht ein starker, aber lauer Wind.
 
 
 
 
     
         
Im Retezat Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Poiana Marului Was für Straßen!! Was für Straßen!! Was für Straßen!! Landschaft bei PHotelu Rosu Landschaft bei Poiana Marului Ein Wanderweg!