Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Die Brücke über die Drina
Nach Moldawien ...
Finale in den Karpaten
   
 
Unternehmen Barbarossa
 
Unternehmen
Barbarossa

von Wolfgang Fleischer
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Moldawien
 
Rumänien und
Republik Moldau
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Donnerstag, 5. Juni
Fahrt in die Republik Moldova
Von Abgasen eingenebelt und vom Lärm betäubt schaffen wir es, dem Moloch Bukarest zu ent­kom­men und auf die Schnellstraße nach Buzau zu gelangen. Weil das Wetter aber immer noch außer­ordentlich klar ist, blicke ich mit Optimismus auf die Lange Fahrt (etwa 500 km) nach Moldawien.
Ein Gefühl, das Leider nicht lange anhält, denn von Anfang an irritieren mich die ungewohnten und tückischen Fahrbahnmarkierungen dieser Straße. Je Fahrtrichtung gibt es zwei Spuren, die durch eine unterbrochene Linie getrennt sind. Die jeweils rechte Spur ist jedoch eine Spur in Miniformat, kaum breiter als mein VW Golf. Man kann auf dieser Spur kaum fahren, ohne die "Leitlinie" ständig zu überfahren. Lkws, die "rechts" fahren, fahren de facto halb auf der mittleren Spur, so dass ein Überholen zum Problem wird. Die "Logik", die sich dahinter verbirgt, widerspricht der Regel von rechts fahren und links überholen. Auf dieser merkwürdigen Schnellstraße heißt es nämlich, in der Mitte rasen und nach rechts (also auf die Kriechspur) ausweichen, wenn man von einem noch grö­ßeren Raser mit der Lichthupe weggescheucht wird. Will man ein gewisses Tempo halten, ist man dazu gezwungen, ständig auf der mittleren Spur zu fahren. Dabei wird man aber un­un­ter­brochen von einem der zahlreichen Neureichen mit Geländewagen aggressiv abgedrängt. Mein Stress wird auch dadurch erhöht, weil ich mich bemühen muss, Roberto auf den Fersen zu bleiben, denn der Rückreise wegen fahren wir jeder mit seinem eigenem Gefährt.
Wenn mich in so einem Augenblick jemand fragen würde, was ich von den Rumänen halte, würde ich, alle Höflichkeit über Bord werfend, antworten: "Alles Wildsäue!". Selbstverständlich würde ich einen Augenblick später nur noch behaupten wollen: "Die rumänischen Autofahrer sind allesamt ...". Und erst nach einer guten Tasse Kaffee in der nächsten Raststätte könnte ich ein wenig ob­jek­tiver argu­men­tieren: "Viele rumänische Autofahrer sind ...". Man verzeihe mir, dass ich von die­sem Rest an Kritik nicht absehen möchte.
Als bei zunehmender Entfernung von Bukarest der Verkehr allmählich nachlässt und die Fernstraße nach der Abzweigung bei Mărăşeşti wieder einen "normalen" Charakter bekommt, weicht dieser innerer Stress, um einer Gelassenheit Platz zu machen, die durch die unspektakuläre Landschaft aus langgezogenen Hügeln und dem klaren, von malerischen Wölkchen durchzogenen blauen Himmel noch verstärkt wird. Es ist eine Landschaft der Pastelltöne, grün und gelb, mit farbigen, fast impressionistischen, von Wildblumen gesetzten Akzenten.
Als 1941 der deutsche Über­fall auf die Sowjetunion be­gann und die Kolonnen der deutschen Wehr­macht in Richtung Moldawien, das da­malige "Bessarabien", fuh­ren, war mein Vater, der als Bild­be­richterstatter die Streit­kräf­te begleitete, auch ir­gend­wo in diesen Weiten unterwegs. Daran zu denken lässt eine merkwürdige Wehmut in mir auf­kom­men, die von der Groß­ar­tigkeit dieser Land­schaft, die sich schier gren­zen­los unter einem fast "baye­rischen" weiß-blauen Himmel vor meinen Augen ausbreitet, noch verstärkt wird.
Im Westen sind die Ausläufer der Karpaten zu sehen, entlang der Straße kleine Dörfer mit ein­stöckigen, quadratischen Holzhäusern, die mich sehr an russische Datschen erinnern. Wobei "erinnern" nicht wörtlich zu nehmen ist, da ich niemals in Russland war, es ist nur eine geliehene Erinnerung. Bunt gefärbt und von bescheidener Größe entzücken mich diese Häuser mit ihren Reihen von Sprossenfenstern mit weißgestrichenen Rahmen, ihren Vordächern, Kolonnaden, kleinen Gärten und geschnitzten Holzzäunen.
Entlang der Straße sieht man des öfteren Menschen mit großen Körben voller Kirschen, die sie zum Verkauf anbieten, oder vereinzelte Pferde, die frei am Straßenrand grasen. Stellenweise, riecht es nach Kuhmist, Holzfeuerrauch und gebratenem Fleisch: ein Bild ländlicher Idylle!
Was ich besonders erfreulich finde, ist, dass diesen Dörfern das triste Unwesen von Plattenbauten, Flächenverbrauch und dreckiger Verstädterung gänzlich fehlt. Möglicherweise konnten sie dank ihrer Abgeschiedenheit der üblichen architektonischen Gleichmacherei und Schäbigkeit der Moderne bislang entkommen.
Diese übliche Trostlosigkeit scheint auch im Städtchen Bârlad völlig zu fehlen. Vielleicht sind es die vom milden Nachmittagslicht gesetzten Akzente, vielleicht die Tatsache, dass die Hauptstraße von schattigen Kastanien und Linden gesäumt ist, oder es sind die auf Inline-Skates vorbeisausenden Jugendlichen. Tatsache ist, dass ich den Eindruck eines lebenswerten, liebenswürdigen Provinz­städt­chens bekomme, der mir sogar die Plattenbauten weniger trostlos erscheinen lässt. Die mo­der­neren Bauten - sie sind die Mehrzahl - sind ansprechend gegliedert und sauber verputzt, und ab und zu überrascht ein originell bis kitschig gestaltetes Einfamilienhaus, zu dessen Beschreibung mir nur die Wortschöpfung "Neureichen-Barock" einfällt .
Unterwegs fällt mir die häufige Präsenz der "poliţia rurală" auf, die freilich ein perfektes System der gegenseitigen Warnung mittels Lichthupe hervorgebracht hat, so dass sich auch die schlimm­sten Rowdys für einige Kilometer in lahme Enten verwandeln. Parallel zu dieser modernen, hek­ti­schen und lauten motorisierten Welt taucht immer wieder die archaische, gemächliche, stille Welt auf, mit ihren in der Zeit stehen gebliebenen Pferdefuhrwerken, neben denen des öfteren auch ein an der Leine gebundenes Fohlen gemächlich trottet.
Frisches Grün, Mohnfelder: eine Augenweide. Und was für Weiten! Europa scheint sich vor meine Augen auszurollen, zu öffnen, sich auszubreiten. Unspektakulär aber beeindruckend. Es ist, als könne man tiefer einatmen. Manchmal säumt eine Reihe von hölzernen Strommasten die Straße, mit denen ich augenblicklich den Begriff von Ferne assoziiere, als seien es Archetypen in meinem Unbewussten. Die Faszination dieser Fahrt steigt noch mehr durch das gewittrige Wolkengebilde am Horizont. Die Strommaste sehen mit dem dunklen Hintergrund der Gewitterwolken düster wie die Kreuze des Golgathas aus. Als plötzlich binnen Sekunden die Windschutzscheibe mit winzigen Flecken übersäht ist, nehme ich an, es habe bereits zu regnen begonnen. Weit gefehlt: Als ich den Arm aus dem Fenster strecke, spüre ich ein Kitzeln von Dutzenden schwachen Piksern auf der Haut. Es sind Mückenschwärme. Doch kurz darauf tröpfelt es tatsächlich. Prompt führt mich der Geruch von nassem Staub – auch hier ein Archetyp? - zurück in die Landschaften meiner Kindheit.
Angekommen
An der Grenze, die wir gegen 21 Uhr erreichen, warten die Mückenschwärme schon auf uns. Kaum bin ich ausgestiegen, schon ist meine Stirn zur Hügellandschaft geworden. Ein Problem, das ich offensichtlich mit den anderen Wartenden teile, denn auch sie fuchteln ununterbrochen mit Händen und Pässen in der Luft herum. Für die Vögel ist es ein Mücken-Schlaraffenland. Wie wild flattern sie um die Leuchtkörper.
Die Prozedur an der Grenze dauert, trotz des geringen Andrangs, fast eine Stunde, nur um ein paar Minuten dadurch beschleunigt, dass zwei junge Grenzpolizisten uns um eine Mitfahr­ge­le­gen­heit fragen. So ruft, als einer der Zöllner mich bittet, den Kofferraum zu öffnen, ihm mein Mitfahrer ein paar Worte zu und sofort werden wir durchgewinkt.
Der junge Bursche, der mit mir fährt, spricht kein Wort außer Russisch und Moldawisch, so ist die Konversation nicht besonders ergiebig und er kann – der Glückliche – die ganze Strecke (ca. 90 km) bis Kischinau durchgehend schlafen. Das erste, was mir in Kischinau auffällt, ist, dass fast alle Stra­ßen von dichten Baumalleen gesäumt sind. Mehr kann ich wegen der Dunkelheit nicht erkennen.
Als wir bei Robertos Wohnblock in einem ruhigen Viertels Kischinaus ankommen und ich auf der Straße vor seiner Haustür parken möchte, werde ich mit der scherzhaften Äußerung konfrontiert, dass meine Chancen, morgen Früh die Autoreifen wieder zu finden, erheblich besser stünden, als dies noch vor wenigen Jahren gewesen wäre. Während Roberto spricht, baut er seelenruhig den Seitenspiegel seines alten Mercedes ab. Die Nachfrage nach diesem speziellen Modell sei noch besonders groß, fügt er verschmitzt hinzu. Ein Schlaufuchs soll angesichts solcher Gefahr sogar eine Diebstahlsicherung für Seiten­spiegel erfunden haben.
Freitag, 6 Juni
Grünes Kischinau
Der Eindruck vom gestrigen Abend verfestigt sich: Kischinau ist eine ausgesprochen grüne Stadt. Auf Schritt und Tritt, in großzügig angelegten Parkanlagen sowie entlang der Alleen begleiten uns herrliche mitteleuropäische Laubbäume. Fast überall im Stadtgebiet kann man sich im Schatten dieser Robinien, Linden, Platanen und Ahorne bewegen. Angesichts der hiesigen Sommer­tem­pe­ra­turen, die nicht selten die  40-Grad-Celsius-Marke überschreiten, ist es gut, dass sie noch nicht einer Sicherheits-Abholzungsaktion des örtlichen Automobilclubs zum Opfer gefallen sind.
Direkt hinter dem Triumphbogen (der auch "Heiliger Bogen" genannt wird), im Parcul Catedralei, liegt – wie könnte es anders sein - die Catedrala din Chişinău (Kathedrale von Kischinau) und der zu ihr gehörende markante weiße Glockenturm. Dessen Glocken sollen einige Jahre nach der Befreiung vom ottomanischen Joch aus türkischen Kanonen gegossen worden sein. Auf dem gro­ßen weißen Platz vor diesem Glockenturm ist heute einiges los: Zwei protzige weiße Stretch­li­mou­sinen sind vor die Kirche aufgefahren, Brautpaare und Hochzeitsgesellschaften wechseln sich vor diesen repräsentativen Kulissen ab, um sentimentale Foto- und Videoaufnahmen von sich machen zu lassen, und von der nahen Bulevardul Ştefan cel Mare kündigen Hupkonzerte die Ankunft wei­te­rer Gesellschaften an.
Mai und Juni ist die große Zeit der Eheschließungen in Moldawien. Ganze Sippen sind mit den Vorbereitungen beschäftigt, die Kirchen sind ausgebucht, "Braut-Entführungen" werden wie am Fließband geplant und in allen Parks finden Fototermine statt.
Weil wir noch die Müdigkeit der gestrigen langen Fahrt in den Knochen spüren, wollen wir uns nicht unter Besichtigungsdruck setzen lassen und flüchten deshalb in ein modernes Einkaufszentrum, wo wir in einer kleinen Bar einen Imbiss zu uns nehmen. Vom exzellenten Bier und dem Hin und Her hübscher junger Mädchen in eine gedämpfte Glückseligkeit versetzt, wachsen uns Wurzeln und so wird aus einer geplanten kurzen Rast eine Art Theaterbesuch, bei dem wir uns weitschweifig über dieses Land und seine Menschen unterhalten.
Kischinaus Frauen
Sähe man es nicht mit den eigenen Augen, würde man kaum glauben, dass es in Kischinau eine so außerordentlich hohe Dichte an gut aussehenden jungen Frauen gibt. Ist es der Cocktail der zahl­reichen Ethnien dieses Landes, der rumänischen Moldauer, also, Ukrainer, Russen, Bulgaren, Ga­gau­sen und Juden, die dieses Wunder vollbracht hat? Oder sind es die magischen Anziehungs­kräf­te und die Möglichkeiten dieser Hauptstadt, die in einer Art Ausleseverfahren die Chancenreichsten zusammengebracht haben? 
Viele von ihnen sind hier nur auf Zwischenstation. Sie wollen in die EU, insbesondere ins gelobte Land Italien, wo sich nach vorsichtiger Schätzung bereits 200.000 Moldawier (etwa 4% der ge­sam­ten moldawischen Bevölkerung) zum großen Teil illegal aufhalten. Sie kommen meistens mit ei­nem Touristenvisum und tauchen nach dessen dreimonatigen Gültigkeit ab, auf eine der Amnestien hoffend, die in Italien von Zeit zu Zeit gewährt werden.
Da Italien keine konsularische Vertretung in Kischinau unterhält, müssen diese Auswan­de­rungs­willi­gen zum Erhalt eines solchen Visums zwangsläufig nach Bukarest fahren, was zu einem gut funktionierenden Pendler-Dienst zwischen den beiden Hauptstädten geführt hat. Mehr als einmal begegneten uns gestern auf der Herfahrt die Kleinbusse dieser Unternehmen. Sie waren größ­ten­teils mit Frauen gefüllt.
Denn es sind die Frauen, die in Italien die meisten Job-Chancen haben. Sie putzen und kochen in privaten Haushalten, beaufsichtigen Kinder und kümmern sich als Pflegekräfte um Alte und Kran­ke. Gerade in letzterer Beschäf­ti­gung, als sogenannte badanti (wörtlich "die, die sich kümmern", so nennt man in Italien die privat beschäftigten Altenpflegerinnen), sind sie nahezu unersetzlich geworden. Aus Sorge, nicht mehr einreisen zu dürfen, trauen sich diese Frauen oft nicht mehr, das Land zu ver­lassen. Roberto kennt persönlich die Tochter einer solchen Auswanderin. Regelmäßig überweise sie einen großen Teil ihrer Ein­künfte nach Hause, habe aber seit Jahren ihre Kinder nicht mehr gesehen.
Europäischer Standard
Sollte man im reichen Westen denken, Moldawien sei ein Land, in der ausschließlich Armut und Unterentwicklung ohne Hoffnung auf Besserung bestehe, der sehe sich nur diese moderne, sau­bere Hauptstadt an. Beispielsweise das Pani-pit-Restaurant, in dem wir zu Abend essen. Zu­vor­kom­mende, attraktive – was sonst? – Kellnerinnen, geschmackvolle Einrichtung, ein Gitarrist, der in dezenter Lautstärke klassische spanische Stücke spielt, Zahnstocher mit Pfefferminzgeschmack, köstliche Suppen, die in durchsichtigen Tassen serviert werden, knackig frische Salate, und Steaks in einer Qualität, die ich nur noch von Argentinien kenne.
Samstag, 7 Juni
Hochzeiten
Wieder ein wunderbar klares Wetter! Wie geschaffen für die Brautpaare, die sich, wie es die Tra­dition verlangt, vor dem Denkmal von Ştefan cel Mare und in den umgebenden Parks fotografieren lassen. Diese Tradition betrifft freilich keinesfalls die Russisch sprechenden Moldawier, denn Stefan der Große ist nur für die Rumänen ein Volksheld.
Dieser Ştefan cel Mare, nämlich, verteidigte im 15. Jahrhundert die Rumänen gegen mächtige Feinde, wie die Osmanen und die Russen. 1475 besiegte er bei Vaslui mit einem Heer von nur 40.000 Soldaten das dreimal so zahlreiche Osmanische Heer. Der türkische Chronist Seaddedin sprach von einer noch nie da gewesenen Niederlage der Osmanen. Auf jedem Schlachtfeld ließ Stefan der Große nach dem Sieg ein Kloster errichten. Für seine Verdienste bei der Verteidigung des Christentums wurde er sogar vom Papst heilig gesprochen, was ihm mit dem weiteren Na­mens­anhang "und Heilige" den Namen Ştefan cel Mare şi Sfînt verschaffte.
Auch im gleichnamigen Park: Brautkleid über Brautkleid. Vor dem wunderschönen Springbrunnen stehen die Hochzeitsgesellschaften (und nicht nur die) Schlange, um sich abbilden zu lassen. Es ist Wochenende. Die Parkbänke sind alle besetzt. Vor den Eisverkäufern und Imbisskiosken stehen Trauben von Besuchern. Für die Kinder ist am Parkrand eine riesengroße orangefarbene Hüpfburg aufgebaut worden. Senioren sitzen wie auf dem Präsentierteller Schulter an Schulter auf den Bän­ken und genießen die warme Frühlingssonne, die sich ab und zu hinter einem Wolkenschleier ver­steckt. Ein einsamer Fotograf wartet auf Kunden. Seit Jahrzehnten soll er an den Wochenenden an ein und der gleichen Stelle auf Kundenfang sein. Immer, tagaus, tagein.
 
 
 
 
     
         
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