Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Die Brücke über die Drina
Im Norden Bulgariens
Finale in den Karpaten
   
 
Bulgarien
 
Bulgarien
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Bulgarien
 
Die ungeliebte
EU-Südosterweiterung
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An der Bulgarischen Grenze
Wieder dieses Bangen wegen der Grünen Versicherungskarte. Und wie nicht anders zu erwarten, komme ich auch hier nicht drum herum, mein Fax und meine Erklärungen abzugeben. Diesmal dauert das Palavern der Grenzbeamten sogar etwas länger. Als ich bereits anfange, über alter­native Routen nach Rumänien nachzudenken, kommt die junge Beamtin endlich wieder zurück und bittet mich freundlichst, die Motorhaube zu öffnen, sie müsse die Fahrzeuggestellnummer prüfen. Das gelingt nicht auf Anhieb, den die Stelle ist völlig verschmutzt. Nach einigen Minuten kommt ein zweiter Beamter mit einem Putzlappen zum Auto, reinigt die Stelle und buchstabiert die Nummer seiner Kollegin. Es ist in Ordnung. Ich darf also ein paar hundert Meter weiterfahren, zur Zollstelle. Dort muss ich meinen Kofferraum öffnen. Ob ich Drogen, Waffen oder in Serbien gekaufte Ziga­ret­ten bei mir habe, werde ich gefragt. Als ich mir einbilde, die Formalitäten seien endlich erledigt, reicht man mir ein USB-Stick und bittet mich, zehn Meter weiter zu einem gelben Kabäuschen zu fahren. Dort gebe ich also den Stick ab, werde gefragt, wie meine weitere Route in Bulgarien aus­sehe, und bekomme daraufhin eine Straßenbenutzungsplakette, ausgestellt für sieben Tage. Jetzt geht es weiter zu einem weißen Kabäuschen, wo sich das Spiel wiederholt. Stick abgeben, Füh­rer­schein zeigen, weiter­ge­reicht werden zum eigentlichen Zollgebäude ein paar Meter weiter. Hinein gehen, Pass und den kleinen Spei­cher abgeben, Kontrolle der Daten, zum Auto geleitet werden, zum nächsten Kabäuschen. Nach der Bezah­lung der Gebuhr bin ich, der EU-Bürger, im EU-Mit­glieds­land Bulgarien angekommen, vor mir liegt, unter dem fast weißen Himmel, eine gut ausge­baute Straße.
Landschaftliche Weiten
Einsamkeit! Weite, offene, unbesiedelte, teils brachliegende flache Landschaft, von Bäumen ge­säumte Straßen, Wildblumen am Straßenrand. Als ich eine Weile im Schatten eines Gehölzes an­halte, versinke ich im Nu in eine urzeitliche Stille. Vogelgezwitscher, Grillenzirpen, aufflatternde grau-schwarze Vögel, Schmetterlinge, die meine Kindheit heraufbeschwören, eine leichte Brise, die die sommerliche Hitze für Augenblicke bricht, das sind die einzigen Geschehnisse.

Reisen findet im Kopf statt. Ich könnte die augenblickliche Situation nicht so empfinden, wie ich es gerade tue, wenn ich nicht ganz bestimmte Bilder in mir herumtragen würde. Nicht viel anders ver­hält es sich mit den Erwar­tun­gen und Vorstellungen, die man mit einem Land verknüpft. Ich ver­binde Bulgarien weder mit Billigurlaub am Schwarzen Meer noch mit dem kommunistischen Ver­mächt­nis. Für mich gilt eine ganz andere Prägung. Das Wort Bulgarien lässt mich an Wasserbüffel, Ziehbrunnen, Tabak- und Baumwollanbau, den Orient, Byzanz und orthodoxe Klöster denken. Denn das sind die Bilder, die sich in meinem Kopf materialisieren, jene, nämlich, die mein Vater von den Reisen mitbrachte, die er als junger Bildberichterstatter während des zweiten Weltkriegs im Balkan unter­nahm. Und wenn ich in den vergilbten Seiten der Wiener Illustrierten blättere, in deren Auftrag er unterwegs war, dann sehe ich noch Bilder einer archaischen Welt, die unver­ändert die Jahr­hun­derte überstanden hatte. Mir ist dabei völlig bewusst, das dies alles nur noch eine Vergangenheit ist, die auch in diesem Land zum größten Teil in den Ansätzen einer Kon­sum­gesell­schaf tuntergegangen ist. Mein kurzer Aufenthalt in Bulgarien wird deshalb auch nur eine Kostprobe für mich sein, ein Versuch einer Spurensuche.

Vidin
Sie bleibt auch diesmal nicht aus, die Ernüchterung. Als ich durch die Vororte Vidins fahre, erlebe ich sie zum wiederholten Mal: all die Hässlichkeit, Konzeptlosigkeit, den Wildwuchs und die Ärm­lich­keit, die in den meisten Städten des früheren sozialistischen Blocks zum Markenzeichen geworden sind. Aber auch das Stadtzentrum ist kein Beispiel von architektonischem Ebenmaß. Der Haupt­platz ist ein nüchternes, schlichtes und zum Teil geschmackloses Sammelsurium moderner und his­torischer Bauten. Ein protziges Rathaus, ein ihm drohend im Nacken stehendes zwanzigstöckiges Hochhaus und dazwischen ein paar verbliebene Gebäude aus der Gründerzeitein, die vergeblich versuchen, einen Hauch von Geschichte auszustrahlen.
Als ich versuche, die Festung Baba Vida, die einzige verbliebene gut erhaltene Burg aus dem Mit­telalter ausfindig zu machen, bekomme ich willkommene Hilfe von einem freundlichen grau­me­lierten Herrn, der mich anspricht, als er mich etwas hilflos umherirren sieht. Während er mich zum großen Park am Donauufer begleitet, erzählt er mir in einwandfreiem Englisch etwas über sein Leben: wie er 1965 nach Amerika auswanderte, drei Jahre bei der amerikanischen Army in Stutt­gart diente, nach Amerika zurück fuhr und dort ein erfolgreicher Unternehmer wurde, um 1995 schließlich, als sich Bulgarien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zu entwickeln be­gann, zurück in die Heimat zu kehren.
Und erst jetzt, entlang der Donaupromenade und im großen, anheimelnden Park, fängt der Schön­heitsbegriff in meinen Gedanken an, zu verschwimmen. Das Leben, das sich jetzt, bei Tages­aus­klang, hier abspielt, verwandelt ihn. Die hässliche Kulisse ist weit weg, in Luft aufgelöst, sie ist überlagert von einem lebendigen Treiben, der das Herz erwärmt. All diese Menschen hier, die fla­nierenden Paare, die spielenden Kinder, die plaudernden Grüppchen in den Cafes im Freien, die alten Leute, die sehsuchtsvoll vom Ufer auf den großen Fluss schauen, sie leben, als ob es keinen anderen, keinen schöneren Ort auf der Welt gäbe.
Denn Glück ist Eisschlecken im Park, auf einem Bein hupfen auf der Promenade, mit Freundinnen kichern und den Blick der Jungs ins Dekollete genießen, das Enkelkind zum Fischessen auf ein Boot mitnehmen, der alt und korpulent gewordenen Ehefrau lächelnd in die Augen schauen und mit vertrauten alten Freunden auf der Bank sitzen und über alles und nichts sinnieren.
Bootrestaurant auf der Donau

Muss es denn ein etwa elfjähriges Mädchen sein, das mich, wenn auch nur vorübergehend, vom selbst auferlegten und anstrengenden Fotografierzwang ablenkt? Und bringt mich das nicht wieder etwas näher zu mir selbst? Eine ganze Weile schon schleicht das Kind verstohlen um mich herum, guckt immer wieder schüchtern in meine Richtung, traut sich aber offensichtlich nicht, mich etwas zu fragen. Endlich flüstern mir ihre Großeltern vom Nebentisch zu, dass Borislava, so heißt das Mädchen, ach so gerne mit mir ein wenig Englisch sprechen würde. Was für eine Gelegenheit bin ich, der ältere fremde Herr, für sie. Als Großvater bin ich also gefragter denn als Jungemädchen-Paparazzo. Damit muss ich leben. Aber was für ein herzerfrischender Kontakt!

Samstag, 31. Mai
Morgenstunde

Aus dem Ham and Eggs ist ein Salami and Eggs geworden, mit Kalorien für zwei Tage. Aber was soll's? Jetzt, kurz vor meiner Weiterfahrt, genieße ich noch die Morgenfrische. Die breite, von alten Linden gesäumte, parallel zur Donau verlaufende Promenade ist noch leer, ein Eisverkäufer wischt seinen Stand sauber, eine alte Frau mit zitterigen Händen bläst Schlangenluftballons mit einer kleinen Pumpe auf und befestigt sie an einer Schnur. Schwer vorstellbar, dass man davon leben kann.

Die übrig gebliebene Landschaft

Ein Storch - als einziges Zeichen einer verschwundenen Welt. Ich bin zu spät geboren, zu spät ha­be ich meine Aufmerksamkeit auf eine Welt geleitet, die im Verschwinden war. Die eindringlichen Bilder aus Vaters Reportagen sind weg, weggefegt von vierzig Jahren Sozialismus und zwanzig Jahren Kapitalismus. Übrig geblieben sind die Armut und diese weite, einsame, größtenteils unbe­nutzt gebliebene, verwilderte Landschaft im Norden Bulgariens, entlang den staubigen Straßen, auf denen ich in Richtung Westen fahre.

Solche archaischen Bilder wie jenes des Storchennests oder die absolute Stille, die herrscht, wenn ich das Auto anhalte, und nur vom Trillern und Zwitschern wer weiß welcher Vögel unterbrochen wird, wirken auf mich wie ein Wiederfinden von etwas, was mir verloren gegangen ist. Wäre da nicht meine Eile und der diesige, fast weiße Himmel, ich hätte mehr sehen können und wollen von dieser fast flachen, nur auf dem ersten Blick langweilig aussehenden Landschaft. Streckenweise zeigt sie sogar die gleichen Farben wie die Toskana, in einem pointillistischem Bild aus dem fri­schen Grün der Weizenfelder, dem Rot des Klatschmohns und all den weiteren Farb­schat­tie­rungen von mir unbekannten Wildblumen.
Russe

Augen zu und durch: Eine Stadt – ich erwarte inzwischen nichts anderes -, die sich in einem un­glaublich heruntergekommenen Zustand befindet, umzingelt und durchzogen von einem Meer von Scheußlichkeiten, ein großräumiges Verfallen und Zerbröckeln dessen, was der Sozialismus einst als fortschrittlich und modern empfand und die darauf gefolgte "Freiheit" weiter zerstückelt und rücksichtslos neuerschaffen hat.

Man muss ins Innerste des innersten Zentrum gelangen, um etwas von dem Charme dieser ver­schwundenen Stadt wiederzufinden, die letzten Fassaden aus der Jahrhundertwende, die Grün­flä­chen, die großzügigen Alleen, die Denkmäler, die von einer Geschichte sprechen, die ebenso irrelevant ge­worden ist, wie die Erinnerung eines Greisen.

Sonntag, 1. Juni
Treffen im Café
Lydia denkt ans Geschäft. Wo kann man in Deutschland jene elektromechanischen Schaukeln, Pferde und sonstige Geräte besorgen, die in Fußgängerzonen zur Beschäftigung von Kleinkindern aufgestellt werden? Sie kenne den Bürgermeister von Russe sehr gut, hätte also kein Problem, eine Aufstellungsgenehmigung zu bekommen. Damit könne man gut verdienen. Geschäfte! Nur damit gehöre man in Bulgarien zur jener kleinen gesellschaftlichen Schicht, für die sich die neue "Marktwirtschaft" lohne. Die große Masse der Angestellten und Rentner könne sich das immer teurer werdende Leben nicht mehr leisten.

Lydias Mutter, eine verschmitz-bäuerlich aussehende Frau, ist auf die Übersetzung angewiesen, denn die paar Brocken Deutsch, die sie bei den Besuchen bei ihrer Tochter in München auf­ge­schnappt hat, reichen gerade dazu aus, ein paar Höflichkeiten auszutauschen. Die Verhältnisse hierzulande, was sonst, sind das Gesprächsthema. Der Anlass ist schnell gegeben. Als die Kellnerin sich zu viel Zeit nimmt, uns zu bedienen, spricht sie Lydias Mutter darauf an, was eine immediate und rotzfreche Antwort seitens des Mädchens zur Folge hat "Wenn es euch nicht passt, könnt ihr ja woanders hin gehen".

So sei es eben hier im Balkan, meint Lydia: Ansprüche stellen aber nichts dafür tun wollen. In Deutschland wäre das ein Kündigungsgrund. Es gab einen Bruch in diesen neukapitalistischen, ehemaligen kommunistischen Gesellschaften. Erst dachte man, Wohlstand käme von allein, die kleine, teils korrupte und arrogante Schicht der Neureichen schienen es vorzumachen und erzeug­ten mit ihren Statussymbolen nur Neid und Verbitterung.

Sonntagsstimmung

Den späteren Nachmittag - nach einem kurzen Gewitter ist wieder eine schüchterne Sonne durch­gekommen - verbringe ich allein, zucke ab und zu die Kamera, um ein paar Sonntagszenen fest­zuhalten, praktiziere aber sonst eher ein entspanntes "people watching", die vermutlich meist praktizierte Freizeitbeschäftigung der Welt. Nur einmal ärgere ich mich, dass ich wegen dieser Trägheit nicht schnell genug mit der Kamera zugegen war, als eine Pope in fußlanger Soutane, einen Kinderwagen vor sich schiebend an mir vorbeizog.

Aber das Muster, dem ich auf Reisen schicksalhaft ausgeliefert bin, bestätigt sich ein weiteres Mal. Etwas später nämlich bietet sich mir ein alter Mann als Fremdenführer an. Ein passables, in der DDR erlerntes Deutsch sprechend, führt er mich herum. Wir besichtigen unter anderem die 1632 gebaute Kirche der Heiligen Dreieinigkeit, die im Souterrain eingegraben wurde, weil die damalige türkische Verwaltung es nicht gestattete, Gebäude zu bauen, die höher als eine Moschee waren. So mussten Christen ihre Gotteshäuser in die Tiefe bauen. Mir ist nicht bekannt, dass im 17. Jh. in irgend einem christlichen Land der Bau von Moscheen erlaubt gewesen sei. Widerstand gibt es bei einem solchen Vorhaben bis heute noch.
Wie dem auch sei: Der 77-jährige führt mich zum Abschluss unseres Rundgangs zum so ge­nann­ten Pantheon, einem Mau­soleum mit vergoldeter Kuppel, das die Überreste der Helden aus der Epoche der bulgarischen Wiedergeburt beherbergt. Es wurde 1978 anlässlich des 100. Jahrestages der Befreiung Bulgariens von der türkischen Herrschaft eröffnet.
Und wer kommt uns hier entgegen? Als wollte er das Muster, von dem ich sprach, bestätigen? Der Pope mit dem Kin­der­wagen! Mein Begleiter, der umgerechnet ganze 65 Euro im Monat an Rente bezieht, wird niemals erfahren, dass er die Aufbesserung dieser Rente um 20% - das Honorar für seine Führung - auch die­ser (fotogenen) Begeg­nung verdankt.
Lindenblütenduft

So hässlich ein Großteil der Stadt auch sein mag, so behaglich und apart ist der große Frei­heits­platz mit seinen Parkanlagen, Denkmälern, Springbrunnen, den zahlreichen Cafes im Freien und
- mit der Ausnahme eines hässlichen Verwaltungsgebäude an der Südseite des Platzes - der stil­vollen architektonischen Kulisse. Das sonntägliche Treiben, das Hellgrün der alten Linden und der Duft ihrer Blüten geben diesen Nachmittagsstunden etwas Paradiesisches.

 
 
 
 
     
         
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