Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Sarajevo
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Islam
 
Islam für Europa
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Sarajevo
 
Der Cellist
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Sarajevo Blues
 
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Bosnien-Krieg
 
No man's land
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Sarajevo
Als ich in Sarajevo einfahre, ergreift mich beim Anblick des Meeres von Plattenbauten und Glas- und-Stahl-Ungeheuern, durch das ich mein Gefährt steuere, ein Gefühl von tiefer Beklommenheit. Es ist eine städtebauliche Tragödie, das Werk einer Architekten- und Stadtplanerriege, die wohl meinte, sich ein Monument der Originalität und der Moderne zu setzen, stattdessen aber nur eine Kakofnie von nicht Zusammenpassendem geschaffen hat. Meine Bestürzung ist so groß, dass ich am Liebsten gleich Kehrt machen würde. Trotzdem fahre ich, weil unentschlossen, aber zugleich verstört und fasziniert von diesem Grauen, beharrlich weiter, immer den Schildern "Centrum" nach, unbewusst der Hoffnung nachspürend, doch noch erlöst zu werden.
Und dann, allmählich, nimmt die Zahl der Monster ab, zeigt das Stadtbild wieder Geschichte, Pati­na. Es gibt sie wohl noch, die Altstadt, man erkennt an vielen Gebäuden das Österreichische, das Europäische an der Stadt, das dann peu a peu vom orientalischen, osmanischen Stil abgelöst wird. Mit seinen Kirchen und Moscheen, seinen Brücken und Straßenbahnen und Resten einer Ar­chi­tek­tur der Jahrhundertwende, erscheint mir Sarajevo fast eine Mischung aus Wien und Istanbul, aber in viel kleinerem, fast dörflichem Maß. Was mich endgültig mit der Stadt wieder Frieden schließen lässt, ist der Blick auf die Wohngebiete an den Berghängen, die die Stadt von drei Seiten her um­geben. Wie bereits in Travnik lassen sie mich an eine intakte und familiäre Welt denken, die noch nicht in die Hässlichkeit von Massensiedlungen übergegangen ist.
Montag, 26. Mai
Islam
Wie "tugendhaft" sehen sie aus, diese jungen Mädchen mit ihren Kopftüchern und boden­langen Gewändern, wenn man sie mit den in engen Jeans oder kurzen Röcken gekleideten und mit dem Po wackelnden Gleichaltrigen vergleicht. Rückständig? In der Gedankenwelt biblischer Zeiten verloren? Eines fällt auf: Wenn ich eine Gruppe junger Menschen anspreche und frage, ob sie Englisch sprächen, ist es meistens eine weibliche Person, die es tut und gesprächs­be­reit ist.
Ist diese rückwärtsgerichtete Kleidung also mehr Schein als Sein in diesem einzigen musli­mi­schen Land Europas? Stimmt es vielleicht, dass dieser Islam in Bosnien kosmo­po­litisch, gebildet, lebens­froh ist? Auf die Schnelle will ich mir kein Urteil erlauben. Diese jungen Frauen rauchen, telefo­nie­ren mobil, und wenn man sie fotografiert, wenden sie keinesfalls ihr Ge­sicht schamhaft ab, ich ernte auch das eine oder andere Lächeln.
Ich kann mich in dieser fremden Welt nur mit meinen Vorurteilen bewegen. Als ich eine Gruppe solcher uniformierten jungen Leute in einem Cafe anspreche, zum Fotografieren ansetze und der Perspektive wegen ein paar Schritte zurückweiche, ruft vom Nebentisch ein älterer Herr mir ein lautes, streng klingendes "Stop" zu. Mein erster Gedanke, ich würde, weil ich fremde Frauen foto­grafiere, gegen die guten islamischen Sitten verstoßen, erweist sich aber einen Augenblick später als Fehlschluss. Mit der Mahnung sollte ich bloß darauf aufmerksam gemacht werden, dass, hätte ich noch einen Schritt zurück gemacht, ich über ein kleines Kind gestolpert wäre.
Diese Mädchen in ihren - ach so fotogenen - Gewändern und die Jungen in ihren sittsamen dunklen Anzügen, sie alle sind Schüler, die am heutigen Tag ihr bestandenes Abitur am islamischen Gym­na­sium feiern. Ein Glücksfall, dass ich mitten in dieses Ereignis geplatzt bin.
Reisen
Wo die Blicke eines Reisenden überall hinfallen!? Am Nebentisch kichert und schnattert eine Riege junger Mädchen fröhlich in die Welt. Eines von ihnen beugt sich vor Lachen so weit nach vorne, dass ihr üppiger Ausschnitt fast die Mokkatasse umwirft.
Von den Akazien rieselt ein feiner Blütenstaub auf mich herab. Wie klitzekleine Schneeflöckchen streicheln mir die winzigen Pollenkörner die Haut. Nicht weit von meinem Tisch sammelt ein kleines Mädchen Blätter vom Boden auf, ein weiteres füllt Kies in eine Flasche ein, um diese dann wie eine südamerikanische Maracas zu schütteln.
Meine Reise gleicht einer Parabel. Immer und immer wieder folgen meine Erlebnisse ein und dem selben Muster, einem Auf und Ab, das längst zu einer von mir verinnerlichten Konstante geworden ist. Dieses Muster verlangt, dass ich zuerst durch eine Phase der Ernüchterung, wenn nicht sogar der Bestürzung gehen muss, in der ich alle meine Erwartungen enttäuscht sehe, meine Vorurteile bestätigt, meine Schwächen wie in einem Spiegel vorgehalten bekomme. Dann - irgendwann im Laufe der Reise - geschieht irgend etwas, das plötzlich alles wieder ins Lot bring.
So folgten dem Dauertief (des Wetters) in Kroatien die Begegnung mit Drago und seiner Familie und die beglückende Fronleichnam-Prozession, dem Entsetzen über Banja Luka folgte das wilde Vrbas-Tal, der Verunstaltung von Jajce das Auffinden stiller Ecken und die wunderbare Begegnung mit dem alten Fernfahrer und seiner "jungen" Frau. Am gestrigen Sonntag war es der Allah-o-akbar-Ruf in Turbe, der mir das stundenlange Sitzen im aufgeheizten Auto vergessen ließ, und in Travnik zeigte sich das Muster in absoluter Deutlichkeit. Dem Betroffenheit auslösenden Spazier­gang durchs Zentrum folgte die Begeisterung, mit der ich, auf dem Weg hinauf zur Burg, die Seele der alten osmanischen Stadt zu spüren bekam.
In Sarajevo spielte es sich nicht anders ab: Hier war der Übergang von einem Zustand in den an­deren sogar fließend, von dem aus dem Nichts gestampften Meer von Plattenbauten und Glas-und-Stahl-Ungeheuern hin zu den verschnörkelten Prachtbauten aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, zu den zahlreichen Moscheen und zum intimen, orientalisch geprägten Altstadtteil Baščaršija. Die Geschichte hat die Stadt zu einer reizvollen Mischung gemacht. Wie wunderschön muss Sarajevo zur Zeit meines Großvaters gewesen sein! Die zahlreichen Gründerzeit-Fassaden erinnern mich irgendwie an Wien, so viel vermochte die 1878 erfolgte Besetzung Bosniens durch Österreich-Ungarn. Sie verwandelte in wenigen Jahren eine türkische Stadt in ein wunderbares Melange aus k.u.k. Monarchie und Türkei mit Jugendstillfassaden, Moscheen und zahlreichen grünen Parks.
Aber auch am heutigen Tag wurde ich von Gott auf die Probe gestellt. Denn er ließ mir eine Rei­se­gruppe aus Wien begegnen! In geschlossener Reihe sah ich sie durch die Altstadt ziehen, ihrem örtlichen Reiseführer und seinen Erläuterungen aufmerksam lauschend. Neugierig geworden, sprach ich diesen an und fragte ihn, ob ich mitgehen könnte. Ich würde natürlich meinen Anteil bezahlen, versicherte ich ihm. Worauf mich der junge Bosnier höflichst dazu einlud. So mar­schier­te ich mit der Grup­pe los, sofort im Gespräch mit einem freundlichen weißbärtigen Mann, der mir erklärte, das sie alle mit Wohnmobilen nach Sarajewo gekommen seien, dreizehn an der Zahl.
Keine fünf Minuten waren vergangen, da kam ein Mann mit strengem Gesicht auf mich zu und giftete mich mit einer derartigen Unhöflichkeit an, dass mir die Spucke wegblieb: "Und Sie gengan oanfach miiit? Wos denken sie sich dabäi, I bin da Reiseleiter der Gruppe. Mir hom schließlich bezoit". Da ich mit einem solchen Menschen nicht diskutiere, verließ ich augenblicklich die Grup­pe. Wien, was zeigst du für ein Bild von dir in der Welt? Im Kontrast dazu wird mir um so bewuss­ter, was für eine Gastfreundschaft und Liebeswürdigkeit die Bosnier mir entgegenbringen. Das war die Prüfung, die ich zu überstehen hatte, danach kam die Erlösung, in Gestalt der Matura-Feier der islamischen Gym­nasien eben, von der ich bereits berichtet habe.
Der Bosnienkrieg
Als ich abends bei einem sarajevsko pivo sitze und das Treiben in der Baščaršija betrachte, ma­chen sich meine Blicke irgendwann selbstständig und wandern über die Minarette hinweg und hinauf zu den Hügeln am Rande der Stadt. Dabei muss ich an den Bosnienkrieg denken, als die Bevölkerung Sarajewos von genau diesen Bergkuppen aus unter Beschuss stand. Ich verfolgte die Bela­ge­rung Sarajevos damals mit großer Anteilnahme in den Nachrichten.
Infolge des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und  der damit ver­bun­de­nen kriegerischen Auseinandersetzungen in Kroatien wuchsen 1990 und 1991 auch die Span­nun­gen zwischen den Bevölkerungsgruppen in Bosnien und Herzegowina. Während die Mehrheit der Serben für einen Verbleib in der jugoslawischen Föderation plädierten, gab es bei den Bosniaken den Wunsch, einen eigenen unabhängigen Staat zu bilden. Die Kroaten aus der westlichen Herze­gowina wollten sich ihrerseits dem neuen kroatischen Staat anschließen. Die Spannungen eska­lierten 1992, als in einem von den Serben boykottierten Referendum 66% der Einwohner Bosnien-Herzegovinas für die Unabhängigkeit optierten. Am 6. April fingen die Serben mit Hilfe der jugo­sla­wischen Armee an, Sarajevo von den umliegenden Hügeln zu  beschießen und in den folgenden drei Jahren mussten Tausende von Menschen ihr Leben lassen. Die Stadt erlebte die längste Bela­gerung in der neueren Geschichte. Die Belagerung dauerte insgesamt 1395 Tage.
Erst 1995 zeigten sich die Kriegsparteien unter internationalem Druck bereit, ernsthafte Verhand­lun­gen zu führen. Ende 1995 wurde der Dayton-Vertrag unter­schrieben, der zum Ende des Krieges führte, welcher insgesamt 100.000 Tote gefordert hatte. Mit diesem Vertrag wurden die beiden Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska als Bestandteile von Bosnien und Herzegowina festgeschrieben. Gleichzeitig wurde eine internationale militärische und zivile Kontrolle des Landes geschaffen, die bis heute anhält.
Meine Gedanken über den Krieg werden bald vom Ausruf des Muezzins weggefegt, der die Gläu­bigen zum Gebet ruft. Eine schnatternde, sehr weltliche Schulklasse, geht vorbei. Zwei Wel­ten, die offen­sicht­lich koexistieren können. Die Urhalte Vergangenheit, die im mittleren Osten seinen Ur­sprung hatte, und die liberale, auf die Aufklärung zurückgehende Welt des Abendlandes.
 
 
 
 
     
         
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