Reisebericht von Bernd Zillich    
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Međugorje – Heilige Stätte der Königin des Friedens
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Bosnien und Herzegowina auf der Hand: Alles Wissenswerte für Ihre Reise nach Bosnien und Herzegowina
Bosnien und Herzegowina
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Međugorje
Međugorje (etwa: „Zwischen den Bergen") ist eine Ortschaft in der Herzegowina, ei­ner mehrheitlich von katholischen Kroaten besiedelten Gegend. Am 24. Juni 1981, dem Jo­han­nistag, berichteten vier Kinder aus dem damals noch jugoslawischen Dorf, dass sie eine junge Frau mit einem Neugeborenen in den Armen über einem Hügel schweben ge­sehen hätten. Die Marienerscheinungen sollen sich auch in den folgenden Tagen er­eig­net haben, und bis zum heutigen Tag andauern – das behauptet zumindest der letz­te, längst erwachsen gewordene „Seher". Die Gottesmutter soll Botschaften ver­kün­den, so liest man, die von Frieden, Glauben, Umkehr, Gebet, Fasten und Buße handeln.
Es geschah wie in Lourdes im 19. Jahrhundert: Im Laufe der Jahre machten sich mehr und mehr Katholiken auf, den „heiligen“ Ort aufzusuchen. Bis zu schätzungsweise einer Million Pilger besuchen inzwischen jährlich Međugorje, eine wahrhaftig beeindruckende Zahl. Die römisch-katholische Kirche hat diese Erscheinungen niemals anerkannt. 2006 wurde eine vatikanische Untersuchungskommission eingesetzt, die zu dem Ergebnis ge­langte, es handle sich nicht um Erscheinungen übernatürlicher Art. Viele der frommen Medjugorje-Pilgern nehmen nicht zur Kenntnis, dass die Kirche gar nicht will, dass sie dorthin pilgern. Die Glaubenskongregation hat schon 1995 alle öffentlichen Pilgerfahrten zum Heiligtum verboten.
Dafür, dass Međugorje erst seit wenigen Jahrzehnten ein Wallfahrtsort ist, hat es bereits eine gewaltige Infrastruktur: Pilgerhäuser, Restaurants, Hotels und eine kaum über­schau­bare Anzahl von Devotionalienläden.
Man könnte fast vermuten, es stünde eine raffinierte Geschäftsidee dahinter: Man neh­me ein paar in ärmlichen Verhältnissen lebende und wegen übersteigerter Einbildungs­kraft auffällig gewordene Kinder, füttere sie jahrelang mit Katechismus, erzähle in der Schule Geschichten von Wunderheilungen und so weiter und so fort.
Was bei diesem gedanklichen Konstrukt nicht passen will, ist das Jahr 1981. Denn da­mals war der Atheismus noch Staatsglaube. Schwer vorstellbar, dass ein kom­mu­nis­ti­scher Bürgermeister eine derart kapitalistisch anmutende Geschäftsidee hätte haben können. Franziskaner aus Međugorje streuten das Gerücht, dass die Erscheinungen im Zusammenhang mit einer schrecklichen Untat der Kommunisten im Zweiten Weltkrieg gestanden seien: Man hatte etwa hundert Franziskaner in einen Bunker – der sich in der Nähe des heutigen Erscheinungsberges befand – gesperrt und ihn gesprengt.
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Lourdes! Damals versetzte mich – obwohl ich nicht gläubig bin – die Atmosphäre je­nes heiligen Or­tes in einen fast glückseligen, der Meditation sehr nahen Gemüts­zu­stand []; diesmal will der Funke nicht überspringen, und ich brauche mindestens ein Gläs­chen Wein, um auch nur eine Spur von jenem Hoch­ge­fühl zu erlangen, das ich brauche, um meinem Aufenthalt in diesem Ort einen Sinn zu geben.
Aber es will nicht wirklich klappen. Die Messe, die im Freien, auf dem großen Platz vor der hy­per­modernen Kirche zelebriert wird, ist ein auswendig gelerntes Theaterstück, die übliche langweilige Zeremonie, bei der das liturgische Programm der katholischen Kir­che akkurat abgespielt wird. Zuweilen wird gesungen, und viel in jenem monotonen Ton ins Mikrofon gesprochen, an dem man sofort eine katholische Messe erkennen kann, ge­nau­so wie man einen Sport-Livekommentar am Ton, in dem er gesprochen wird, sofort als einen solchen erkennt.
Als ein am Massenphänomen „Frömmigkeit“ interessierter Agnostiker vermisse ich in Me­đugorje die ganz besondere Atmosphäre, die mich in Lourdes oder beim wiederholten Ansehen des Filmes „Das Lied von Bernadette“ den Tränen nahe brachte. An diesem Ort aus der Retorte erlebe ich nur schlechte Choreografie. Und diese haus­ge­mach­ten „pro­gram­mierten“ Erscheinungen wirken auf mich nicht – aber vielleicht auch nur, weil sie im aufgeklärten „Heute“ stattfinden – als seien sie auf einen echten Glau­ben zu­rück­zu­führen. Die Ernüchterung, die dadurch bei mir entsteht, führt dazu, dass ich Međugo­rje lediglich als eine Art „Shopping Mall der Hoffnung“ sehe.
Die Erscheinung
Wann, bitte, findet die Marienerscheinung statt? Um zweiundzwanzig Uhr! Bitte pünktlich erscheinen!
Der Weg hinauf auf den Hügel Podbrdo ist steinig, in der Dunkelheit kann man die fla­chen Steine nicht von den spitzen unterscheiden, man muss verdammt aufpassen. Wä­ren da nicht die Taschenlampen mancher Pilger, wäre dieser Weg eine Qual, ein wahrer Golgota. Irgendwie komme ich aber, zusammen mit Hunderten weiterer Leidgenossen, oben auf dem Berg der Kreuze und der Erscheinungen an. Der Schweiß rinnt mir nur so von der Stirn.
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Das erste, was ich auf dem Gipfel sehen kann, ist eine weiß leuchtende Gestalt. Leider handelt es sich aber nur um die angestrahlte Madonnenstatue, denn die Muttergottes selbst erscheint, nachdem die anderen „Kinder“ ausgestiegen sind, seit Jahren nur noch dem inzwischen 44-jährigen Ivan Dragicevic. Gewöhnlichen Sterblichen bleibt die Er­schei­nung sowieso verborgen.
Der kohlrabenschwarze Scherenschnitt der unzähligen Menschen, die die Marienstatue umringen, bildet ein Kontinuum von völlig regungslos stehenden, alle auf dasselbe Wun­der wartenden und hoffenden Menschen. Über dieser Menschenmenge ragt ein un­wahr­schein­lich klarer und unermesslich großer Sternenhimmel.
Aber in dieser von den Sehnsüchten der Gläubigen geladenen Dunkelheit herrscht kei­neswegs Stille. Ein monotones Gemurmel, ein an Kakofonie grenzender Chor von „Ave Marias“ in den verschiedensten Sprachen lässt nur schwer an ein Gebet denken. „Hail Mary, full of grace, the Lord is with thee, and may thy grace be with me! Blessed art thou among women". Weil das mit penetrant amerikanischem Akzent rezitierte Ave Ma­ria meines Nebenmannes bei mir jegliches Gefühl von Andacht im Kern erstickt, ent­fer­ne ich mich von ihm – Vorsichtig, denn ich muss höllisch aufpassen, dass ich in der Dun­kel­heit nicht stolpere. „Zdravo Marijo, milosti puna, Gospodin s Tobom. Blagoslovljena Ti među ženama". Die Leitstimme auf Kroatisch aus dem Lautsprecher gibt den Takt an, die Masse folgt dem, so gut sie kann, manche verlieren sich unterwegs. Nur beim Sin­gen des immer wiederkehrenden „Ave, Aveee, Aveeee Mariiah“ kommt ein gewisser Gleich­klang zustande. Manchmal erhebt sich auch eine einzelne Stimme aus dem Ge­sang hervor.
Nach sehr langem Warten wird es auf einmal still – mucksmäuschenstill. Und genauso plötzlich kommt auch ein zartes Lüftchen auf, das auf angenehmste Weise meinen Na­cken streichelt. Die Erscheinung, so flüstert mir ein junger Kroate auf Englisch zu, kün­di­ge sich immer mit einem solchen kühlen Windchen an. Die Menschenmenge weiß das – und schweigt, tief versunken in dem Glauben, die Muttergottes weile gerade unter ihnen.
Mir kommt ein erschreckender Gedanke: Sollte auch der letzte „Seher“ sich zurück­zie­hen, so würde Međugorje innerhalb kurzer Zeit ihre Existenzgrundlage verlieren. Was für eine Verantwortung!
Samstag, 23. Mai
Fluchtgedanken
Bild vergrössernDer südliche Teil Bosniens hat sich mir als ein touristisch übererschlossenes, mit we­ni­gen Ausnahmen jegliche Ur­sprünglichkeit entbehrendes, architektonisch lang­weiliges Gebiet offenbart. Das mag an der Nähe zur Adriaküste lie­gen, aber dadurch kann sich bei mir die Empfindung, auf einer „Entdeckungsreise“ zu sein, kaum einstellen. In dem einzigartigen mittelalterlichen Städtchen Počitelj, das auf der UNESCO-Liste steht, bekomme ich das besonders zu spüren.
Dieser Ort hat einerseits mediterrane Züge, andrerseits aber auch einen sehr orien­ta­li­schen Charakter, der auf die Zeit der osmanischen Herrschaft zurückzuführen ist. Die Mischung dieser zwei Baustile gibt dem Ort seine besondere Note.
Es sind aber die Nähe zur Schnellstraße und die mit Bussen herangekarrten schnat­tern­den Teenager, Bild vergrösserndie mich daran hindern, in die Geschichte ein­zu­tau­chen. Kurioserweise sind es dann ein paar „islamisch“ gekleidete Mädchen, die für einen kurzen Einzug von „Orient“ in meine Fan­ta­sie sorgen. Allerdings stellt sich bald heraus, dass es sich um Tou­risten aus Belgien handle. Ursprünglich kämen sie zwar aus der Tür­kei, betont der Vater der Beiden, aber die Familie lebte seit vierzig Jahren in Belgien. Er betont es absichtlich, als wolle er sei­ne türkische Herkunft verleugnen.
Umso absurder deshalb, dass er seinen Töchtern noch diese nicht zeitgemäße Kleidung aufzwingt, bei 32 Grad im Schatten sicher ei­ne Tortur. Eine Qual, übrigens, der sich der alte Herr in kurzen Ärmeln nicht aussetzt. Unwillkürlich denke ich an die Klosterschwestern in Međugorje, die sich auf ähnliche Weise aus religiösen Gründen von Kopf bis Fuß verhüllen.