Argentinien 2004
Reisebericht Argentinien - Patagonien    
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ARGENTINIEN 2004
Buenos Aires
Tango in San Telmo
Puerto Madryn
Pinguine in Punta Tombo
Halbinsel Valdes
Ushuaia
Zur Seelöweninsel
Nationalpark Feuerland I
Estancia Harberton
Garibaldi-Pass
Zug am Ende der Welt
Nationalpark Feuerland II
Beagle-Kanal Titanic
El Calafate
Perito-Moreno-Gletscher
Ruta 40
Nach Bariloche
Auf den Cerro Otto
Nahuel-Huapi-See
Nationalpark Lanin
Das verzaubert Tal
Lago Mascardi
Abschied von Bariloche
Buenos Aires
Im Paranà-Delta
 
 ARGENTINIEN 2008
 ARGENTINIEN 2011
 ARGENTINIEN / CHILE 2014
 
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Feuerland und Patagonien
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Faszinierendes Patagonien
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Patagonien Feuerland
Patagonien
Feuerland

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Seelöwen
Tierlexikon - Seelöwen
und See-Elefanten
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  Buenos Aires    
 
12. März
Sehnsucht
Die Sehnsucht nach der Ferne kommt eines schönen Tages, wenn man es am wenigsten erwartet, wie ein Schnupfen oder ein Lotterie-Gewinn. Monoton hämmernde Eisenbahnräder, der Duft eines Steaks in einem Speisewagen, ein im Hafen heulender Dampfer oder eine Postkarte von einer fer­nen Küste – schon hat es einen gepackt. Bei mir hat die Sehnsucht nach meinem nächsten Ziel bei der Lektüre eines alten Buches Einzug gehalten. „Reise ans Ende der Welt“ heißt es []. Es schil­dert die Reise eines dänischen Journalisten und eines Freundes nach Feuerland, dem südlichsten Zipfel Patagoniens. Es war in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Anfahrt allein – von Hamburg aus per Frachtschiff – war ein Abenteuer. Denn damals konnte man Passagen auf Frachtern noch nicht, wie heutzutage, als ganz normale Kreutzfahrten buchen! Meine Sehnsucht hat lange – zu lange? – warten müssen. Aber jetzt ist es so weit: Heute Nachmittag fliege ich nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt.
Aber gibt es, in einer Zeit, in der die Tourismusbranche nur die weniger schönen Fleckchen un­se­rer Erde übrig gelassen hat, überhaupt noch ein "Ende der Welt"? Seitdem Argentinien den Eins-zu-eins-Wechselkurs zum Dollar aufgehoben hat, ist es für Ausländer zum Billig-Reiseland geworden und für Argentinier zum einzigen Land, dass sie sich leisten können. So über­schwem­men die nun zahlreicher gewordenen Touristen alle landschaftlich interessanten Gebiete des Staates, von den Anden bis zum Atlantik. Sie machen auch vor der „Tierra del Fuego" nicht Halt. Bezeichnend ist, dass ich meine Bleibe in Ushuaia übers Internet buchen konnte! Aber immerhin ist es eine „casa de familia“ (eine Privatunterkunft) und die Gastgeber sind Italiener, was vielleicht doch interessanter sein könnte als das Logieren in einem der teueren Hotels.
Anflug auf Ushuaia
Die Aussicht aus dem Flugzeug ist großartig: mit der schneebedeckten chilenischen Cordillera in der Ferne, den näheren Bergen, deren Farben in der Abendstunde von braun bis dunkellila vari­ieren, dem Metallblau der Seen und Fjorde, den fantastischen, abstrakten Mustern von Buchten, schlängelnden Flüssen, Küstenlinien und Schneeresten.
Dachte ich vor kurzem noch, dass die Fortbewegungsart „Fliegen" etwas Künstliches sei, das dem Wesen des Reisens, den Landschaften mit ihren Räumen und der Zeit nicht gerecht würde, so muss ich nun meine Meinung ändern. Denn was sich unter mir abspielt, ist ein Erlebnis, dass ich nie mehr vergessen werde.
Letzteres denke ich jedenfalls bis zu dem Augenblick, als der Flug anfängt, ungemütlich zu werden. Denn kurz vor der Landung bekommt der Boeing plötzlich Schluckauf und die so genannten Luft­löcher stellen meine Nerven minutenlang auf eine harte Probe. Dann wäre ich doch lieber in ei­nem rüttelnden und schüttelnden, erdnahen Überlandbus! Aber wie auch das Bohren beim Zahn­arzt, so sind auch diese unangenehmen Momente bald vorbei und die Maschine rollt mit einem über­glück­li­chen Passagier auf der Landebahn.
Dabei soll die Landung früher, als sie auf einer wesentlich kürzeren, oft quer zum Wind verlaufende Landebahn erfolgte, noch viel aufregender gewesen sein.
Sicher angekommen
Herr Piatti (Javier) wartet bereits, mit dem üblichen hoch gehaltenen Namensschild versehen, in der Ankunftshalle auf mich. Er ist ein untersetzter junger Mann mit dunklen, leicht schütter wer­den­den Haaren und einem gewinnenden Lächeln. Ich bin auf ihn, so wie ich es auch mit meinen bis­he­rigen Unterkünften in Argentinien getan habe, mittels einer Internet-Suchmaschinen gekommen: Stichwort casa de familia, wie Privatunterkünfte hier genannt werden.
Als wir als eines der ersten Gesprächsthemen meine weitere Reiseroute anschneiden und ich dabei El Calafate, meine nächste Etappe, erwähne, konfrontiert er mich prompt mit der Nachricht, dass gerade in diesen Tagen der Riesengletscher Perito Moreno vor dem "Kalben" stehe. Dazu muss man wissen, dass alle paar Jahre das Endstück der 60 Meter hohen Eiswand dieses Gletschers explo­sionsartig und mit Ohren betäubendem Krach abbricht. Ein Schauspiel, dass gewaltig sein muss.
Ich habe kaum Zeit, über mein missglücktes Timing zu räsonieren, da fügt er hinzu, dass sich neben den zahlreichen Fernsehteams aus der ganzen Welt bereits mehr als zehntausend Touristen vor Ort befänden, die alle auf das Großereignis warteten. Man stelle sich nur das Gedränge vor! An­ge­sichts einer solchen Horrorvision bin ich gleich wieder beruhigt.
Wir steigen in sein japanisches Allradgefährt ein und nach kaum mehr als einer Viertelstunde hol­pert der Wagen bereits, zahlreiche Schlaglöcher ausweichend, eine von einem Wäldchen gesäumte staubige Erdstraße hinauf, die sich zwischen einfachen Holzhäusern hinaufschlängelt. Bellende Hunde und einzelne spielende Kinder begleiten uns.
Der in Buenos Aires gebürtige Javier, dessen Familie aber aus Süditalien stammt, spricht seine Muttersprache noch erstaunlich gut, man hört ihm sogar den südlichen Akzent der Marken (seine Eltern stammen aus Macerata) an. Er betreibe, erklärt er ganz selbstbewusst, die erste Bed-and-breakfast-Pension Feuerlands und verdinge sich dazu noch als Reiseführer für Italienisch spre­chen­de Reisegruppen.
Meine Behausung entpuppt sich als eine mitten in einem Südbuchen-Wäldchen gelegene cabaña, eine einfache Holzhütte mit einem bis zum Boden reichenden steilen Satteldach.
Nachdem ich mein Gepäck abgestellt habe, ist Javier so zuvorkommend, mich auch noch die zwei Ki-lometer zurück ins Stadtzentrum zu fahren, damit ich nicht hungrig zu Bett gehen müsse.
Abendessen
Das Zentrum - das ist nicht viel mehr als die Avenida San Martin: ein Souvenirgeschäft neben dem anderen, ein Café neben dem anderen, ein Restaurant neben dem anderen, ein locutorio internet (Internet-Café) neben dem anderen; des weiteren heladerias (Eisdielen), Banken, noch mehr Cafés und überall Neon-Reklameschilder, die Las Vegas als Vorbild gehabt haben könnten. Es gibt sogar ein Spielkasino. Die Stadt ist eine Mischung aus Wildwest-Stadt und einem amerikanisierten Berchtes­gaden. Alles scheint einzig und allein auf den Tourismus ausgerichtet zu sein.
Spätestens wenn man ein Grillrestaurant (parilla genannt) betritt, besteht kein Zweifel mehr da-ran, in welchem Teil der Welt man sich befindet. In Argentinien wird nämlich vor allem eines ser-viert: gegrilltes und über Holzfeuer gebratenes Fleisch!
Direkt an einer offenen Feuerstelle und für den Gast gut sichtbar garen auf Spießen gesteckte Zick­lein- und Lammhälften. Gleich daneben kommt der Koch kaum noch dazu, genügend dicke Rind­fleisch-Scheiben abzuschneiden, auf ein Grillrost zu legen und den Garfortschritt unter Kon-trol-le zu halten, so ein Betrieb herrscht noch zu dieser späten Stunde.
Obwohl ich eigentlich keinen großen Hunger mehr habe, bin ich von diesem Tempel der Flei-sches-lust so beeindruckt, dass ich mich für ein lomo a la parilla (Filet-Steak) überrede. Unnötig zu sa-gen, dass das zwei Finger dicke Fleisch saftig und zart ist.
Weil ich sehr stark daran zweifle, in der Dunkelheit dieser späten Stunde den Weg zurück zu mei-ner Hütte zu finden, beschließe ich, ein Taxi zu nehmen. So werde ich in Null Komma Nichts die zwei Kilometer zur Bahia Paradiso 812 gefahren, wo meine Behausung bereits auf mich wartet. Der Fahr­preis beträgt ganze drei Pesos, der Preis einer Kurzstrecke mit der Münchner U-Bahn.
13. März
Zur Seelöweninsel
Ich sitze an Deck des MS Barracuda [ MS Barracuda ], eines in die Jahre gekommenen Ausflugsschiffs, und warte auf die Abfahrt. Unzählige Male muss das gute Stück mit Touristengruppen den Beagle-Kanal auf und ab ge­schippert sein! Eine als Matrose verkleidete Fremdenführerin kommt gerade, die Passagiere freundlich anlächelnd, an Bord und balanciert dabei geschickt eine Tortenglocke auf jeder Handfläche. Schließlich sollen wir raue Seefahrer nicht auf unser Fünfuhr-Kaffeekränzchen verzichten müssen. Magellan und Darwin fuhren diese Strecke lange vor uns. Der Wind tobte, die See peitschte eisige Wellen übers Deck und das Leben der tapferen Männer war fortdauernder Gefahr ausgesetzt. Das unauffällige belgische Ehepaar mittleren Alters, das bequem neben mir auf der Holzbank Platz ge­nommen hat, scheint diese Gefahren völlig zu ignorieren. Mut und Zuversicht ist in ihren wetter­ge­gerbten Gesichtern und in ihren funkelnden Augen zu erkennen.
Das trügerische Meer zeigt sich aber heute nur von seiner harmlosen Seite. Die Wasseroberfläche ist spiegelglatt, der berüchtigte patagonische Wind ist einer uneingeschränkten Flaute gewichen und der Himmel ist milchig-weiß. Es ist drückend heiß – jedenfalls dann, wenn man sich wie ich vor­sorglich eine dicke Daunenweste angezogenen hat. Am Pier steht unser Steuermann Alejandro vor dem Fallreep und fertigt die weiteren hinzukommenden Rentner und Paare mittleren Alters ab, die wie ich ihre Abenteuerader entdeckt haben.
Bis wir wegfahren, hat sich der Himmel fast völlig zugezogen und die Sonne ist nur noch als konturloser heller Fleck zu erkennen. Immerhin sorgt der Fahrtwind jetzt für etwas kühlere Luft.
Während ich so ahnungslos und friedlich die Aussicht und die frische Brise in vollen Zügen genieße, taucht ungebeten das Zynismus-Teufelchen in meinen Gedanken auf und versucht mir zu suggerieren, dass auch diese Tour (wie die zur Valdes-Halbinsel) zum Schlag ins Wasser werden könnte. Nur mit Mühe schaffe ich es, ihn in Schach zu halten, indem ich die wunderbare Meer-und-Berge-Landschaft genüsslich auf mich einwirken lasse und mich dabei in eine wohltuende philosophische Gleichgültigkeit versenke.
Als wir uns der Isla de los Lobos (Insel der Seelöwen) nähern, werde ich trotzdem (oder der Fo­to­graf in mir wird) ein wenig ungeduldig. Wie erlöst fühle ich mich deshalb, als wir endlich mit der Insel, die fest im Zangengriff der Ausflugsschiffe ist, auf Tuchfühlung kommen und tatsächlich Dutzende von Seelöwen beobachten können.
Das über 50 Jahre alte Schiff wird mit Gespür und Geschicklichkeit bis auf wenige Meter an die Insel, eigentlich nur ein größerer Felsen, heranmanövriert. Als schließlich der Motor abgestellt ist, geht eine Knipsorgie los, die ihresgleichen sucht. Eine kurze Rechnung: Wenn jeder der ge­schätz­ten fünfzig Passagiere im Durchschnitt ein Dutzend Mal auf den Auslöser drückt (wobei ich selbst den Durchschnitt in die Höhe treibe), dann macht das nach Adam Riese etwa sechshundert Auf­nah­men. Bei etwa sechs bis acht Ausflugsschiffen pro Tag (in der Hochsaison dürfte es weit darüber liegen) ergibt das im Jahr nicht weniger als – sage und schreibe – eine Million Aufnahmen! Welches Hollywood-Starlet würde da nicht vor Neid erblassen?
Die Tiere zeigen aber trotz dieses Interesses überhaupt keine Eitelkeit. Sie stellen sich weder in Pose, noch achten sie in irgend einer Weise auf den ganzen Rummel. Sie liegen nur zu Hunderten faul und gleichgültig auf dem kleinen Felsen mitten im Beagle-Kanal herum. Keine Hektik kann sie dazu bewegen, hin und her zu hopsen und sich gegenseitig auf die Füße (Pardon, auf die Flossen) zu treten. Aber vielleicht sind sie so aufgeklärt, dass sie bereits wissen, was mit all den Fotos passieren wird: Denn sie werden kaum auf dem Schreibtisch eines nach neuen Talenten suchenden Filmproduzenten landen. Nein, ihr ruhmloses Schicksal wird die Schublade sein! Ich kann mir nicht helfen. Es ist plötzlich stärker als ich. Ich muss schallend auflachen.
Von da an - das heißt, nachdem ich mein Fotografengewissen beruhigt habe - wird die Fahrt für mich zur reinsten Entspannung.
Bei der Isla de los Pájaros (Vogelinsel) sind es Kormorane, die wir aus größter Nähe erleben, und als wir den Leuchtturm Les Eclaireur erreichen, reißt der Dunstschleier wie durch ein Wunder auf, das Licht wird sanft, das Meer glitzert, und einzelne Robben treiben ihre Taucherspielchen direkt vor unserer Nase, so wie man es normalerweise nur von den Delphinen kennt. Die meisten Aus­flüg­ler sind inzwischen im Inneren verschwunden – es ist schließlich ziemlich genau fünf Uhr nach­mittags – und ich bin fast allein an Deck. Der Wind streichelt sanft mein Gesicht. In solchen Situationen weiß ich, dass ich lebe.
Usuhaia - Seelöweninsel Usuhaia - Seelöweninsel Usuhaia - Insel der Kormorane Beagle-Kanal - Insel der Kormorane Usuhaia - Seelöweninsel Im Beagle-Kanal