11. April
Eine Höllenfahrt
So spannend die Hinreise nach Valparaiso war, so anstrengend wird die Fahrt zurück nach Ar­gen­tinien. Nicht nur, dass sich bei mir Ansätze ei­ner Erkältung zeigen, auch mein Magen ist – nach einem sehr starken letzten Kaffee in Val­pa­ra­iso – etwas an­ge­schlagen. Ich fahre zwar mit der selben Busgesellschaft (CATA) aber diesmal ist es eine  lange Nachtfahrt. Einige Stunden nach Mit­ter­nacht gelangen wir an die Gren­ze, wo die eigentliche Katastrophe ihren Lauf nimmt. Mehr als zwei Stunden müs­sen wir Passagiere im Freien und bei eisiger Kälte – die Grenzstation befindet sich auf etwa 3200 Meter über dem Meeresspiegel – für die Pass- und Zoll­for­ma­li­tä­ten Schlange stehen. Meine Erkältung bricht jetzt erst richtig aus.
12. April
Mendoza
Als ich gegen sieben Uhr im Hotel ankomme, kann ich mich nur noch aufs Bett wer­fen, um bis weit in den Nachmittag hinein zu schlafen. Nach einem späten „Früh­stück“ begebe ich mich dann, müde und mit der Kälte noch in den Kno­chen, auf die Suche nach einen Büro der Aerolineas Argentina, um einen Flug nach Bariloche zu buchen – eine weitere Busfahrt steht für mich nicht zur Debatte.

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Im Hotel erlebe ich eine kleine Szene, die sehr für die Liebenswürdigkeit der Ar­gen­tinier spricht. Weil ich meinen Magen schonen möchte, frage ich am Emp­fang, ob es im Restaurant zum Abendessen auch eine warme Suppe gäbe. Etwas später klin­gelt in meinem Zimmer das Telefon. Es ist die „cocinera“ (Kö­chin), die mich fragt, was ich mir denn für eine Suppe wünschte: „Con ver­du­ra? Con pa­pas? Con zanahorias?“ (Mit Gemüse? Mit Kartoffeln? Mit Karotten?). Wäre es mir „a las siete y media“ (um halb acht) recht? Interessant, übri­gens, das spanische Wort für Karotte. Es stammt – ich mache mich schlau – aus dem andalusischen Arabisch ‎“safunnárya“, was wiederum aus dem arabischen „isfanāriyya“ entlehnt ist.
Zur festgelegten Zeit klingelt es wieder: „Soy la cocinera señor, la sopa esta lista“ (Ich bin die Köchin, der Herr, die Suppe ist fertig).
13. April
Ausschlafen! Mein Flug nach Bariloche startet erst am frühen Nachmittag. Dort an­ge­kommen bring mich ein Taxi wieder zur Hosteria Güemes. Aber so schlecht geht es mir nicht mehr. Nach einer kleinen Ruhepause ist wieder das „Cafe del Turista“ mein Ziel.
Am Mitre
Als ich dort gemütlich bei Torte und „cafe con leche“ sitze und „La Nacion“ lese, er­fah­re ich mit Entsetzten, dass genau ein Tag nach meiner Abreise am Stadt­rand von Valparaiso aus noch ungeklärter Ur­sache ein Feuer ausgebrochen war, das sich wegen des starken Windes schnell ausbreitete. Innerhalb kurzer Zeit waren vierzig „cerros“ vom Feuer erfasst. Die Gefahr, dass die Flammen auch die Innenstadt erreichen würden, war noch nicht gebannt. Heiße Asche regnet immer noch auf die Stadt herab.
 
14. - 16. April
In den folgenden Tagen fühle ich mich noch immer sehr erholungsbedürftig. Ich ver­bringe die meiste Zeit in der Hosteria und im „Cafe del Turista", ma­che ab und zu ei­ne Stippvisite bei Cati im Fitz­Roy (ihrem Souvenirladen) und ernähre mich mittags und abends haupt­säch­lich von „empa­nadas" oder (nachmittags) von Kuchen.

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Und weil des Wetter, wenn auch eisig kalt, sehr schön ist, wiederhole ich die eine oder andere Be­sich­ti­gungs­tour. Dabei begleitet mich die ganze Zeit ein melan­cho­li­sches Gefühl, als wäre dieser Aufenthalt in Bariloche mein letzter. Ich war schon so oft in dieser kleinen Stadt, dass ich sie fast wie ein zweites Zu­hause empfinde. Umso mehr ge­nie­ße ich die wunderbare Land­schaft.
Panorama vom Cerro Otto
Einmal fahre ich mit dem Bus zur etwa acht km vom Stadtzentrum entfernten „Playa bonita“ (zum „schö­nen Strand“), und schlen­de­re stundenlang am Seeufer entlang in fast völliger Ein­sam­keit. Die Badesaison ist längst vorbei. Ein eisiger Wind fegt über die Was­ser­ober­flä­che, die Luft ist so klar, dass ich vom gleißenden Licht geblendet werde.
Am Nahuel-Huapi-See
17. April
Schokolade
In Bariloche findet man Konditoreien auf Schritt und Tritt, außerdem gilt die Stadt als die Scho­ko­la­de-Haupt­stadt Argentiniens, die eine gro­ße Auswahl an ver­schie­denen Schokoladensorten bietet. Es gibt sogar ein Scho­ko­la­de­museum und  – zu Ostern – das weltweit größte, nämlich mehr als 8 Meter hohe, hand­gemachte Osterei. Nach Angaben der lokalen Tourismusbehörde wurden für seine Herstellung etwa 8000 kg Schokolade verwendet. Dieses gi­gan­tische Ei wird am Os­ter­sonn­tag feierlich zerschlagen. Danach dürfen die Besucher die Schokolade aufessen. Tausende Men­schen versammeln sich zu diesem Zweck in Bariloche.
Das größte Osterei der Welt
Am heu­tigen Tag ist der „Mitre”, die Hauptstraße, für den Autoverkehr gesperrt. In dieser „semana santa“  (Karwoche) ist die Anzahl der Touristen in der Stadt spürbar in die Höhe gegangen. An jeder Ecke stehen Verkaufsstände mit „artesanias“ (in Handarbeit erstellen Erzeugnissen), Ge­brauchs­ge­gen­ständen und allerlei Kitsch. Und es duftet nach Gebratenem!
Auf den Cerro viejo
Nach dem pflichtgemäßen „choripan“ (Brat­wurst­bröt­chen) flüchte ich vor dem Rum­mel und mache mich entlang des Seeufers auf die Suche nach einer „confiteria“ (Kon­di­to­rei) mit Seeblick. Was gar nicht so leicht ist! Zwar finden sich ein paar Res­tau­rants am See, aber of­fen­sicht­lich ist in dieser vom Fremdenverkehr le­ben­den Stadt noch niemand auf die Idee ge­kom­men, ein Café zu errichten, das die herrliche Lage am See zu seinem Anziehungspunkt gemacht hat. „Confiterias“ findet man nur im Zentrum.
Auf dem Cerro Viejo
Der Zufall will schließlich, dass ich etwa einen Kilometer vom Stadtzentrum entfernt eine Art Kinderspielplatz entdecke, den „Parque Eco­tu­ristico“ am Fuße des „Cerro Viejo“, bei dem ei­ne Sommerrodelbahn als eine der Attraktionen gilt. Zur Startstelle dieser befördert ein kleiner Sessellift. Dieser führt auch zur „Confiteria El Mirador“ (Konditorei „Zur Aussicht“). Ein weiterer Zufall will es, dass der Sessellift sogar in Betrieb ist, was anscheinend nur an Feiertagen oder während der Sommerferien der Fall ist.
Im Café auf dem Cerro Viejo
Der Sessellift führt inmitten dichtem Wald etwa hundert Meter den Berg hinauf. Wie oft war ich schon in Bariloche? Kaum zu zählen meine Auf­ent­halte! Wie konnte es also sein, dass ich die­se kleine „confiteria“, ein Kleinod mit herrlichem Blick auf den Nahuel-Huapi-See, noch nicht kannte? In keinem Prospekt findet der „Parque“ Er­wäh­nung.
Blick auf den Nahuel-Huapi-See
In dieser Landschaft der Superlative nimmt diese Aussicht, nach jener vom Cerro Campanario und dem Cerro Otto, vielleicht nur den dritten Rang ein, und den­noch ist sie von überwältigender Schönheit. Vor den Augen die ganze breite Front des Sees, von der Einmündung in den Rio Limay im Osten bis hin zur Isla Victoria im Nordwesten und den dahinter gelagerten Anden.
Im Feenwald
Hinunter kommt man entweder in hohem Tempo mit der Sommerrodelbahn oder ge­mütlich entlang eines Waldlehrpfades, die Variante, für die ich mich ent­scheide. Etwa auf halber Höhe komme ich am „Bosque da las hadas“, dem Feen­wald, vorbei. Er ist in dieser Jahreszeit verwaist. Der kleine Kunst­hand­werks- und Anden­ken­la­den ist geschlossen. Durch die großen verstaubten Fenster sieht man nur alte, dem Verfall anscheinend preisgegebene Mär­chen­gestalten.
Eine Fee
Die große Stille (ich bin der einzige Besucher) lässt die Zeit stehen bleiben, die Wirklichkeit sich auf­lösen. Die Ver­lassenheit der Stätte, das milde Spät­nach­mit­tagslicht und die vereinzelten Son­nen­strahlen, die durch die niedrigen, sparrigen Bäume lugen, lassen mich in eine Zau­ber­welt eintauchen.
Ein Gnom im Feenwald
Durch das Säuseln des Windes lebt das geheime Leben des Wal­des plötzlich auf und Gnome und Feen zeigen sich all jenen, die wie die Kinder die Fähigkeit be­sitzen, mit ganz großen Augen Fan­ta­sie­welten zu sehen und an das Ge­heim­nis­volle in der natur zu glauben.