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Samstag, 26. November 2011

Nach Norden
Der Bus von Chalténtravel hat kaum etwas gemeinsam mit den bequemen Über­land­bussen, die ich gewohnt bin. Weder bietet er einen oberen Stock, von dem man die Landschaft besser genießen kann, noch bieten die Sitze die großzügige Beinfreiheit, die ich dringend brauche, um lange Fahrten zu überstehen.
In Gobernador Costa trifft unser Bus auf die Strecke, die ich vor drei Jahren von Comodoro Rivadavia aus gefahren bin. Ich erkenne den runden Hügel, an dem sich der Ort schmiegt, und die Fassaden der Hauptstraße. Auch hier hat sich etwas geän­dert. Einige der Seitenstraßen, die sich damals noch als graubraune, staubige Erd­stra­ßen zeigten, wurden inzwischen asphaltiert, und insgesamt wirkt die Siedlung „or­dent­li­cher". Aber die Atmosphäre ist die gleiche geblieben, die von beschaulicher Ver­lassenheit. Von all den Kleinstädten, die ich auf dieser Fahrt erlebt habe, ist Go­ber­nador Costa die einzige, in der ich ger­ne ein paar Tage verbringen würde.
Esquel
Etwa zwölf Kilometer vor Esquel hält der Bus an, um mich und zwei weitere Reisende, die nach Esquel (Provinz Chubut) wollen,Bild vergrössern abzusetzen. Ein vorbestelltes Taxi soll uns in den Ort bringen. Der aber lässt auf sich warten, und weil wir im Funkloch sind, kann man auch unsere Ankunft nicht ankün­di­gen. Während unser Gepäck am Straßenrand steht, nutzen die anderen Reisenden – sie fahren aus­nahms­los nach Bariloche – die Gelegenheit, um sich die Bei­ne auszutreten und den kleinen Schrein von Gau­chito Gil, des Schützheiligen der Lastwagenfahrer, zu bestaunen.
Hosteria Angelina
Als der Taxifahrer endlich kommt und mich zum in letzter Minute übers Internet re­servierten Hotel Los Ñires bringt, muss ich leider feststellen, das es „cerrado“ (ge­schlossen) ist. So lasse ich mich zur kleinen Hosteria Angelina führen, wo ich vor drei Jahren bereits gewesen bin. Ich hatte zwar den Namen vergessen, konnte aber dennoch den Weg dorthin wieder finden.
Sonntag, 27. November 2011
Das Buffet bietet von Toastbrot bis Kuchen, Käse bis Obstsalat, alles, was sich der Frühstücksgast wünschen kann. Zu schade, dass ich mich etwas zurückhalten möch­te, dann tagsüber unterliege ich schon zu oft der Versuchung „algo dulce“ (etwas Süßes) zu essen und die Abendessen werden meistens auch üppiger als geplant.
Auf in den Nationalpark Los Alerces
Für heute Vormittag war zwar etwas Regen vorhergesagt, aber die Sonnenstrahlen, die durch die halbdurchsichtigen Gardinen ins Zimmer dringen, geben mir etwas Zu­versicht, obwohl mein Ziel der Nationalpark Los Alerces ist, eine Gegend, die zu den niederschlagsreichsten der Erde zählt.
Der etwa 2600 km² große Parque Nacional Los Alerces liegt entlang der chilenischen Grenze imBild vergrössern Nordwesten von Esquel. Für Touristen ist nur ein begrenzter Teil des Parks zugänglich, der übrige Teil ist der Forschung vorbehalten. Der Park wurde im Jahr 1937 eingerichtet, um die letzten Bestände der Patagonischen Zypresse (Spanisch: Alerces) zu schützen, die Namensgeber des Parks sind. Die Alerces sind extrem langsam wachsende und sehr langlebige Bäume. Sie können Höhen von bis zu 50 Metern erreichen. Das Alter der ältesten Bäume im Park wird auf ca. 3000 Jahre geschätzt.
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Hosteria Futalaufquen
Ein feiner Nieselregen fällt sanft auf den englischen Rasen nieder. In der gepflegten, parkähnlichen Anlage dieser Hosteria am Ufer des Futalaufquen-Sees ziehen im­po­san­te Coihue-Südbuchen die Aufmerksamkeit auf sich. Die Farbe des Sees im Hin­ter­grund ist grau und die bei anderen Wetterverhältnissen wahrscheinlich präch­tig aussehenden Berge auf der gegenüberliegenden Seite stecken bis zum Hals in den Wolken.
Man kann dieser Hosteria zwar einen Hauch von Exklusivität nicht absprechen, aber bin ich in die Wildnis eines Nationalparks gekommen, um die dünne Luft eines ex­klu­siven Schicks zu erleben oder um in die Natur einzutauchen?
Dennoch genieße ich im fast leeren Speisesaal ein kleines Mittagessen. Die Forelle ist vorzüglich und die leichte cerveza Corona, mit Zitronenschnitzen garniert, schmeckt fast wie ein leicht prickelnder Weißwein.
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Eine breite Fensterfront mit Blick auf den See, Wände mit Innenfachwerk, unver­putz­te Deckenbalken, Chesterfield Klubsessel in dunkelbraunem Leder, elegante Va­sen­leuch­ten auf kleinen Beistelltischen und bequeme rustikale Sofas, die auf einen in Na­tursteinwand Bild vergrösserneingebetteten offenen Kamin blicken. Im Essbereich des großen Saa­les ein weiterer Kamin, in dem ein Holzfeuer flackert und oberhalb dessen ein Rot­hirsch­kopf mit prächtigem Geweih in den Raum blickt. Das einzige nicht Vornehme dieses Ambientes ist das Quietschen der Schuhsohlen des Kellners, wenn er sich auf dem spiegelglatten Parkettboden bewegt.
Noch immer auf ein jähes Wetterwunder hoffend, fahre ich die ruta 71 den See ent­lang in Richtung Cholila, dem kleinen Ort, den ich vor einigen Jahren, von Norden kommend, besuchte, und der dadurch bekannt wurde, dass die berüchtigten nord­ame­ri­kanischen Banditen Butch Cassidy und „The Sundance Kid“ dort eine Zeit lang verweilten.
Bild vergrössernAber zum schlechten Wetter gesellt sich ein „ripio", der es in sich hat und mich un­entwegt dazu zwingt, die Geschwindigkeit auf 30 bis 40 km/h zu drosseln. Manchmal scheint die Straße nur aus Spurrillen in einer Kiesgrube zu bestehen. Ich muss Sla­lom fahren, um die ärgsten Löcher zu umfahren. Nach etwa 12 km, in Bahia Rosales, gebe ich auf. Wenn ich daran denken muss, dass bis Cholila noch 80 km fehlen, weiß ich, dass ich die Strecke „diesmal“ nicht in mein Programm aufnehmen werde.
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Hosteria Quime Quipan
Immer noch nicht bereit zu resignieren, mache ich auf dem Rückweg eine Kaf­fee­pause in der Hosteria Quime Quipan. Ich will Petrus etwas Zeit zur Wie­der­gut­ma­chung geben. Die Aussicht auf den See und die dahinter liegenden Berge ist trotz schlechter Sicht großartig.

BUCHEMPFEHLUNG
Patagonien: Das südliche Ende der Welt: Wüsten, Fjord­land­schaften, Steppen, Vul­kane, Gletscher - feuch­te und kühle Regen­wald­ge­bie­te im Westen, eine karge, tro­ck­ene Step­pen­land­schaft im Osten. Reiner Sahm hat wun­der­bare Aufnahmen aus der „Heimat der Winde“ mitgebracht.

Sol, die junge Angestellte des Restaurants ist nicht nur hübsch, sie ist auch überaus freundlich und kümmert sich fürsorglich um mein Wohlbefinden, als müsse sie wie­der­gutmachen, was mir das Wetter angetan hat. Ob ich etwas zu lesen möchte, fragt sie. Oder Spielkarten bräuchte. Ihre Sommersprossen lassen mich auf walisische Ur­sprünge tippen, was sie auch prompt bestätigt. Ihr Kosename lautet daher „pecosa". Die andere Großeltern-Linie stamme hingegen aus Italien. Sol gehört zu jener Art Menschen, die allein durch ihre Anwesenheit gute Laune verbreiten. Ihr Freund Fa­cun­do, der sich derweil an der Gitarre übt, wird wegen seiner schwarzen Haare „el negro“ genannt. Jeder habe hier einen „apodo“ (Spitzname), meint Sol.
Wegen der in diesem „comedor“ (Speisesaal) vorherrschenden fast familiären At­mos­phäre, und weil schließlich auch ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkenschicht durchringen, beschließe ich, hier zu übernachten.
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Ich soll - sobald ein anderer Gast, ein Globetrotter aus Australien, ausgezogen ist - ein schönes Zimmer mit „vista lago“ (Seeblick) bekommen. Ein etwas skurriler, aber sympathischer Typ, dieser Mensch aus Down Under. Er spricht mich in gebrochenem Deutsch an. Er komme aus Tasmanien nach Patagonien, ausschließlich um zu fi­schen. Eine Sechs-Kilo-Forelle habe er in einem See im Süden Patagoniens bereits aus dem Wasser gezogen. Seine nächste Etappe sei San Martin de los Andes. Auch dieser Ort ein Lieblingsziel für Sportfischer.
Am Abend reißt die graue Wolkendecke endlich auf.
Montag, 28. November 2011
Parque Nacional Los Alerces
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Ein strahlender Tag, der alle meine Zweifel beseitigt. Ich beabsichtige, auf der ruta 71, die ich gestern wegen des Regens entnerft aufgegeben habe, bis zur so­ge­nann­ten Pasarela zu fahren, einer Hängebrücke über den Río Arra­yanes.  Dort, wo der Fluss in die Laguna Verde (grüne Lagune) fließt, soll es atem­be­rau­ben­de Aussichten geben.Bild vergrössern Nur 27 km „camino de ripio“ trennen mich von diesem Ziel. Was leichter ge­sagt als getan ist. Denn diese ungeteerte Straße ist in einem er­bärmlichen Zustand. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Querrillen, die das Gefühl vermitteln, auf ei­nem Waschbrett zu fahren, der Kies, der bis auf wenige Abschnitte die Fahrbahn bedeckt, die Schlag­lö­cher, die in allen Größen plötzlich auftauchen und zu jähem Bremsen und Slalom­fah­ren zwingen, oder - last, but not least - die weit ge­fähr­li­che­ren größeren Steine, die fest in der Erde stecken und die verheerende Wirkung von Fahrbahnschwellen ausüben. Mit einer gemächlichen Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 30 km/h fahre ich so meinem Ziel entgegen.
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Die ruta 71 läuft fast die ganze Zeit parallel zum Ufer des Lago Futalaufquen, und wären nicht die vom Auto erzeugten Geräusche, herrschte eine fast überirdische Stille. Wegen dieser undBild vergrössern der atemberaubenden landschaftlichen Schönheit kann ich nicht anders, als öfters einen kurzen Halt zu machen. Der See mündet in den sma­ragdgrünen Río Arrayanes. Wenn ich von der Straße hinunter zu diesem Fluss se­he, und die dichten Wälder, die sich lückenlos die Berghänge hinauf ziehen, auf mich wirken lasse, dann ist es, als löste sich die Zeit auf. Eine beeindruckende Wildnis!
Nach einigen Kilometern mündet der Río Arrayanes in den kleineren Río Menendez und mit ihm in den entzückenden Lago Verde (grünen See). Ich bin am Ziel. Eine kurze Strecke in dichtem Wald führt hinunter zur „pasarela", die die Flussmündung überbrückt. Der Blick von der Hängebrücke sowohl zum „Grünen See“ als auch hin zum Río Menendez übertrifft meine Erwartungen. Ich stehe eine ganz weile stumm auf der wackeligen Hängebrücke, so stark ist der Eindruck, den allein die Farben des Wassers auf mich machen. Ich könnte versuchen, sie zu beschreiben, zwischen Tür­kis, Aquamarin, Blassblau, Grün, aber meine Beschreibung wäre unzureichend. Es soll Menschen gegeben haben, die sagten, sie würden die letzten Augenblicke ihres Le­bens hier verbringen wollen, in der Nähe der „pasarela". Es ist ein wunderschöner, fast unwirklicher Ort!

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Dienstag, 29. November 2011

Laguna La Zeta

Nachdem ich das Mietauto zurückgebracht habe, hänge ich den halben Tag un­ent­schlos­sen herum, teils in der Hosteria Angelina beim Lesen und Planen, teils im Ort, der zwar eine interessante Umgebung zu bieten hat, selbst aber nur ein un­schein­ba­res Kaff ist. Erst am späten Nachmittag raffe ich mich auf, um etwas zu unter­neh­men.

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Ohne zu wissen, was mich dort erwartet, lasse ich mich von einem Taxi die staubige, nicht asphaltierte Straße den Berg hinauf zur „Laguna La Zeta“ fahren, ei­nem kleinen See in einem Hochtal, das einige hundert Meter höher als Esquel liegt. Und weil ich mich zeitlich nicht festlegen möchte, bestelle ich auch kein Taxi zum Abholen. Ich will zu Fuß zum Ort zurück.

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Es ist eine Begegnung mit der Einsamkeit und der Weite. Die Stille wird nur spo­ra­disch vom Kreischen der Tero Tero – so werden hier Spornkiebitze genannt – ge­bro­chen. Bild vergrössernEs scheint Brutsaison zu sein, denn in dieser Zeit sind die Vögel stark territorial und warnen schon aus weiter Entfernung vor näherkommenden Störenfrieden. Und das bin ich wohl für sie. Wenn ich mich zu sehr einem Nest nähere, beginnt es mit dem Geschrei. Oft fliegen dabei benachbarte Brutpaare auch gemeinsame „Feind­flüge". Kaum entferne ich mich aber von ihrem „Territorium", schon ist die Ruhe wieder hergestellt. Ich könnte Stunden am Seeufer verweilen, hätte ich nicht noch den beschwerlichen Abstieg.

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