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Dienstag, 22. November 2011

Abschied von El Calafate
Margarita verabschiedet sich mit großer Herzlichkeit, als würde ich bereits zur Familie gehören. Ich werde das gemütliche Geplauder mit ihr und ihrem Mann vermissen. Beim Frühstück eröffnete sie mir wieder ein paar Aspekte des argentinischen Lebens. Ich hatte er­wähnt, dass es mir aufgefallen war, wie wenig Kinderwagen auf den Stra­ßen Argen­ti­niens zu sehen seien. Kleinstkinder sieht man fast ausschließlich in den Armen der Mütter - oder auch der Väter, die sich nicht scheuen, sie in aller Öf­fent­lich­keit mit Zärtlichkeit zu überhäufen. Ich mag nicht beurteilen, ob dieser Unter­schied zu Mitteleuropa auf ein innigeres Verhältnis zu den Kleinen schließen lässt, oder ob die Nutzung von Kinderwagen in Mitteleuropa nur auf größere Bequemlichkeit und stärkere Kon­sum­gewohnheiten zurückzuführen sei.
Es gibt, so Margarita, in Argentinien eine oft angewandte Therapie für Frühchen, die so genannte „terapia mama canguro“ (Kängurumethode), bei der der direkte Kör­per­kontakt zwischen Kind und Mutter (aber auch Vater) im Vordergrund steht. Die The­rapie besteht darin, dass man das Kind anstatt im Inkubator mehrere Stunden täg­lich nackt auf die unbekleidete Brust der Mutter legt und damit einen direkten Haut­kon­takt schafft. Das stabilisiert Herzschlag und Atmung des Frühchens, fördert die Eltern-Kind-Bindung und schenkt gleichzeitig dem Kind Gebor­genheit.

Immer wenn ich, der eingefleischte Städter, mich im Fernab-von-Allem befinde, kom­me ich nicht darum herum, mich zu fragen, wie man einen solchen Ort (wie es Angel und Margarita taten, als sie von Buenos Aires nach El Calafate zogen) freiwillig als Mittelpunkt des eigenen Lebens auswählen kann. Ein Ort, in dem es für einen großen Teil des Jahres nur Wind, Schnee, Kälte und lange Nächte gibt, und wegen dem man lange Fahrzeiten in Kauf nehmen muss für alles, was nicht alltäglich ist. Für Margarita ist es beispielsweise, wenn sie einen Facharzt aufsuchen muss, selbst­verständlich, um sechs Uhr früh den colectivo (Bus) zu nehmen, um in die 300 km ent­fernte Pro­vinz­hauptstadt Río Gallego zu fahren, und dann erst spät am Abend wieder zu Hause zu sein.
Dafür wohnt die Familie in einem entzückenden Häuschen auf dem Hügel mit einer fan­tastischen Sicht auf den Lago Argentino. Die Luft ist so sauber, dass die Atem­we­ge davon profitieren. Und die Kinder können gefahrlos vor der Haustür spielen. Kri­mi­nalität ist hier ein Fremdwort.
Rückfahrt
Bei grauem Wetter gekommen, bei grauem Wetter gefahren. Da hält mich wenig­stens kein Fotografieren auf. An das Kilometerfressen habe ich mich inzwischen ge­wöhnt. Das Fehlen des klaren, vom Wind „gemalten“ Himmels macht mir das schnelle Fahren leicht. Ich empfinde die Landschaft nur noch als monoton und unendlich. Ich muss nur auf plötzliche Windböen aufpassen und gegensteuern. Besonders un­an­ge­nehm ist es, wenn mir ein großer Lkw entgegenkommt. Da kann der plötzlich ent­stan­dene Luft­druck derart stark sein, dass ich das Auto nur schwer in der Spur halten kann. Da tun mir zwei Motorradfahrer schon leid, wenn ich sehe, wie sie sich ducken müssen, um die dem Wind gebotene Fläche zu verkleinern.
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Mittwoch, 23. November 2011
In Río Gallegos

In diesem Café „Monaco“ diskutiert eine Riege älterer Herren über die Themen des Tages. Beispielsweise darüber, ob die Entscheidung, welche Flüge man wegen der Wol­ke aus Vulkanasche über Buenos Aires annullieren müsse, nicht weiter den ein­zel­nen Fluggesellschaften zu überlassen sei, sondern zentral entschieden werden sollte. Diese vom Wind von den fernen Anden bis in die Hauptstadt transportierte Asche beruht glücklicherweise nicht auf eine erstarkte Aktivität des chilenischen Vul­kans Puyehue.

Ärgerlich ist für mich das graue, regnerische Tief hier am südlichen Ende des süd­amerikanischen Festlands. Erst jetzt, bei diesem Wetter, das kein „magi­sches“ Licht mehr herbeizaubert, das den Ort und die Landschaft verklärt, merke ich, was für ein nichtssagender und langweiliger Kaff diese Hauptstadt der Provinz Santa Cruz ist.

"Langweilig", war entsprechend auch die Antwort der jungen Schülerin am hiesigen Britischen Institut auf meine von Tisch zu Tisch gestellte Frage, wie denn das Leben hier sei. Wann hat mich zum letzten Mal ein junges, hübsches Mädchen ange­spro­chen? Versuche doch jemand (in den „besten“ Jahren) sich vorzustellen, er werde in der Innenstadt von München/ Hamburg/ Berlin spontan von einer jungen hübschen Frau angesprochen, freiwillig zum gesuchten Ziel begleitet und mit einem Küsschen auf die Wange verabschiedet! Das könnte nur auf eine Intervention des Heiligen Geistes zurückzuführen sein!

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Aber genau das ist mir hier geschehen, hic et nunc. In der Fremde – damit meine ich, dort, wo es keine Touristen gibt – ist man plötzlich nicht mehr „unsichtbar", und es kann geschehen, dass sich eine junge Frau darüber freut, mit einem Unbekannten ein paar Worte Englisch zu sprechen. Das sind die kleinen Dinge, die den grauen Schleier des Lebens (und des Tages) ein wenig lichten. Für mich war es eine Mini­be­ge­gnung mit Maxiwirkung auf mein Gemüt.
Die Freundlichkeit der Menschen, mit denen ich hier im tiefen Süden Patagoniens in Kontakt komme, ist unübersehbar. Beispielsweise hat mich in einem Restaurant ein Kellner freundlich darauf hingewiesen, dass es die Kombination „lomo“ (Steak), Ge­tränk und Beilage auch als „promocion“ (Tagesangebot) gebe, also preiswerter.
Hier im „Monaco“ hat mich hingegen der Kellner ungefragt auf den Stromstecker auf­merk­sam gemacht. Fast alle öffentlichen Lokale haben WiFi, wie hier der Wireless-Lan-Anschluss ans Internet genannt wird.
Die Herren am Nebentisch stimmen gerade, dem Radio folgend, ein Lied ein, das die typisch sehnsuchtsvollen, von patriotischem Pathos erfüllten Töne Argentiniens wie­dergibt. Mir kommen fast die Tränen!

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