Im Böhmerwald
Reiseskizzen von Bernd Zillich   
   
 
                   
   
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Juni 1995
Oktober 1996
   
   
 
Moldau
 
Die Moldau,
 
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Weiße Frau
 
Die Habsburger
und das Übersinnliche,
 
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Freitag, 11. Oktober 1996
Die Autobahn nach Salzburg fliegt unter meinen Rädern hinweg, der Hochnebel verflüchtigt sich allmählich, um ungefähr ab dem Chiemgau einer schüchternen Herbstsonne das Feld (bzw. den Himmel) zu überlassen.
Die Absicht, auch der Sprache wegen, nach Tschechien zu fahren, schlummert noch in mir, und doch ist etwas, ich könnte es nicht in Worte fassen, das mich von dieser Alternative abhält. Kurz nach dem Autobahnkreuz Linz halte ich schließlich unentschlossen mein Auto an, um die Landkarte zu prüfen. Steyr und das dahinter liegende Gebirge reizen mich wohl sehr und haben auch den einen Vorteil - sie sind zum Greifen nahe. Aber dann fällt meine Entscheidung doch wieder auf den heiß geliebten Böhmerwald.
Ich fahre an Enns vorbei, widerstehe der Versuchung, in dieser schönen Stadt nach Übernach-tungsmöglichkeiten zu suchen, verzichte auf einen Besuch von Mauthausen (dem Ort bei dem einstmals das Konzentrationslager war) und genieße beim Überqueren der gemächlich vor sich hin fließenden Donau die herrliche Abendstimmung, die von den glitzernden Spiegelungen der niedrigen, gelbleuchtenden Sonne im Wasser erzeugt wurde.
Eine Landschaft ohne Höhepunkte, nur von einer herbstlichen Licht- und Luftstimmung getragen, die sie in meinen Augen verzaubert. Oberzirking, Obenberg, Steinpichl, es könnte Niederbayern sein, nur die Nuancen sind anders. Unterschiede, welche zu definieren ich mich schwer täte. Dicht besiedelt ist diese Landschaft, Bauernland mit großen herbstlich-braunen Maisfeldern, mit kleinen Waldinseln auf den sanften, weitläufigen Hügeln und dicht hintereinander folgenden Ortschaften.
Welch ein Unterschied zu drüben, denke ich beim Beobachten der Landkarte. Wie dicht gedrängt sehen sich auf dem Papier die Ortschaften und die Straßen diesseits der Grenze an, wie leer scheint hingegen der Landstreifen unmittelbar auf der anderen Seite: kaum Namen, Straßen, Ortschaften sind auszumachen - es zieht mich spontan und entschieden dorthin. So fahre ich weiter in einer Gegend, dessen einziger Reiz in ihrem Noch-nicht-gesehen-worden-sein lag.
Vorbei an Prägarten und dessen zweifelhaften Modernisierungen fahre ich weiter durch eine alles in allem sanfte, liebliche Landschaft, die im Abendlicht die immer wiederkehrende Stimmung "Kenne-ich-es-nicht-schon-seit-langer-Zeit?" in mir hervorruft. Die rote Sonnenkugel geht langsam unter, hinter einer typisch mitteleuropäischen Herbstlandschaft voll von rostbraunen Farbtönen. Obwohl dies ganz und gar nicht die Welt meiner Kindheit ist, packt es mich jedes Mal vor lauter Sehnsucht, wenn ich im Vorbeifahren in einem solcher Dörfer Kinder beim Spielen sehe. Es ist dieses Auftauchen irgendwelcher "Schnipsel" aus fernen, fernen Zeiten aus der Tiefe meines Gehirnspeichers, das mich fasziniert.
Nach Gutau verliert die Landschaft schlagartig den Charakter dicht besiedelten Bauernlands, um die Züge einer menschenleeren, ursprünglichen und bewaldeten Mittelgebirgslandschaft anzu­neh­men - das Mühlviertel. Plötzlich ist Einsamkeit über die Landschaft gesunken und man könnte meinen, im Schwarzwald zu sein. Dicht gedrängt schmiegen sich die Berghänge an die Straße, Kurve um Kurve ist nichts zu sehen außer Wald und die einsame Natur, und dieser Eindruck wird von der einfallenden Dämmerung noch verstärkt. Jetzt muss ich wirklich ernsthaft daran denken, eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. Endlich, in St. Leonhard, im Gasthof Schwarz, finde ich ein Zimmer. In der blauen und klaren Abendluft haben die Sterne schon zu funkeln begonnen und ein kalter Herbstwind bringt mich zum schaudern.
Als ich die Wirtsstube betrete, ist am einzigen besetzten Tisch gerade eine Unterhaltung im Gange. Die freundliche, leicht mollige Wirtin - eine von vier Schwestern - erzählt eine humorvolle, aber sicher fiktive Episode, so als ob sie sich vor ihren eigenen Augen abgespielt hätte. Darin kommt eine junge Mutter und ihr kleines Kind vor, die in einer Straßenbahn neben einer etwas betagten und schweigsamen Dame sitzen. Das Kind ist laut, grantig, ungezogen, und tritt der alten Frau hemmungslos immer wieder ins Schienbein, so dass diese schließlich die Mutter darum bitten muss, das Kind doch endlich zu ermahnen. Ohne sich zu entschuldigen und sogar fast empört reagiert die Mutter: was ihr den einfiele, sie denke nicht daran, schließlich sei ihr Kind antiautoritär erzogen worden. Einige Haltestellen weiter, als sich Mutter und Kind offensichtlich zum Aussteigen aufmachen, nähert sich ihnen ganz unauffällig ein junger Bursche, nimmt lässig seinen Kaugummi aus dem Mund und klebt ihn der Frau mitten auf die Stirn. Anschließend, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, kehrt er zu seinen Sitzplatz zurück und bemerkt mit lauter Stimme, dass auch er antiautoritär erzogen worden sei.
Eine der Schwestern - sie schließt sich etwas später der Runde an - ist blond, auch nicht gerade schlank, aber mit sehr weiblichen, wohlproportionierten Rundungen. Nicht unbedingt "schön", aber immerhin anziehend. Als ich sie beobachtete, wie sie in der Männerrunde lacht und spricht, und dann einen Blick auf ihre Schwester wirft, erlebe ich - ob ich mich täusche? - bei dieser ein verunsichertes Schweigen, einen leicht neidischen Blick, des "Tantle" gegenüber dem "Weib".
12. Oktober 1996
Wie üblich gleicht der Grenzübertritt einem Eintauchen in eine graue und triste Vergangenheit. Die Hauptstraße von Ceské Velenice, eher ein Dorf als eine Stadt, ähnelt mit seinen verwahrlosten Fassaden aus der Jahrhundertwende einem heruntergekommenen Arbeiterviertel, wie ich es aus dem Wien der 50er Jahre in Erinnerung habe, eher noch trostloser. Die neue Zeit ist nur durch eine Reihe von zwielichtigen Etablissements des Vergnügungsgewerbe vertreten.
Das ruhige Herbstwetter (lies: sich nur zögernd auflösender Nebel) verleidet mir ein wenig die Fahrt durch diese Landschaft, die mir keine neuen Eindrücke mehr bringen kann. Einsam, weit, sanft hügelig, nicht viel anders als jenseits der Grenze, nur weniger gepflegt und, man kann es nicht oft genug wiederholen, leer. Die wenigen Dörfer oder das Städtchen Nove Hrady ändern an diesem Eindruck von Leere nichts.
In den heruntergekommenen tschechischen Innenstädten gibt es einen grauenhaften Verfall, der Putz bröckelt ab, eingeschlagene Fenster sind häufig anzufinden, das Unkraut sprießt aus jeder Mauerritze, die Straßendecke ist oft aufgerissen, die Plattenbauten, haben wie ein Krebs alle Randviertel erfasst und sind manchmal bis in die Innenstadt eingedrungen.
Aber denken wir einen Augenblick daran, was passieren könnte, wenn all die Häuser einen neuen Anstrich bekämen, die Löcher in dem Kopfsteinpflaster geschlossen werden könnten, die morschen Gebäude selbst restrukturiert würden. Plötzlich sähe die Straße, der Platz, das Ensemble wieder genau so aus, wie es früher einmal war. Das ist eine einmalige Chance. Im Westen ist diese Mög-lichkeit für alle Zeiten verspielt. Frankfurt kann seine Manhattan-Silhouette und die modernen Klöt-ze am mittelalterlichen Römer nie mehr rückgängig machen. Verspielt, zerstört für alle Zeiten. Wohl dem, dem es gefällt. Die Hauptplätze von Kaplice, Kasperke Hory, Krummau oder Telc hin­gegen, alle haben sie noch diese Chance.
Im Städtchen Rožmberk, das auf den ersten Anschein - sieht man von dem Blick auf die prächtige Burg ab - ein Paradebeispiel für Trostlosigkeit ist, sehe ich so gut wie keine Häuser aus der Nachkriegszeit. Das Ortszentrum mit seinem dreieckförmigen Platz und einfachgiebliegen Barockhäusern scheint förmlich nur darauf zu warten, renoviert zu werden. Die frühgotische Pfarr-kirche des Hl. Nikolaus, die Brücke über der Moldau mit der unausweichlichen Nepomuk-Statue, die Häuser am Hang unterhalb der höheren Burg, sie alle haben in meinen Augen die Möglichkeit, wieder zu einem beeindruckenden Ensemble zu werden.
Manche Fassaden sind auch bereits renoviert, und die bienenhafte Bautätigkeit im Ort ist kaum noch zu übersehen. Überall aufgerissene Straßen, Steinhaufen, Baustellen, Baugerüste - aber die Mittel sind spärlich und der Weg noch lang. Noch gleichen manche Hinterhöfe Müllhalden oder Ab-bruchbuden, noch zieren improvisierte Holzschuppen, Gerümpelberge und verwilderte Gärten und Wiesen die verborgenen Flächen, die dem Blick von der Hauptstraße versperrt sind.
Ich muss kurz innehalten, denn während ich dies schreibe, wird es mir wärmer ums Herz. Die kleine Welt der chaotischen Gemüsegärten, Vorstufe zu den "gepflegteren" Hinterhofgärten, die Welt der ungemähten Rasen, der frei laufenden Hühner und Puten, der halbverwilderten Katzen, die noch wissen, was eine Maus ist, der bellenden Promenademischungen, der alten Mütterchen, die im Arbeitskittel die Wäsche aufhängen, der Kinder mit rotzigen Nasen und verbeulten, ge­flick­ten Hosen, der vor sich hin rostenden alten Autos, der verwilderten Felder und Wiesen - diese Welt, die liebe ich.
Die Autotür schließen, die Koffer in mein Zimmer bringen, mich kurz erfrischen, das ist für mich wie der Übergang in eine andere Gemütsverfassung, ja, fast in eine andere Realität. War ich zuvor noch im Heute, im Stress und die meiste Zeit in eher grau gefärbten Gedanken versunken, bin ich danach wie ausgewechselt, eingetaucht in eine Welt des Sehens, des Fühlens, erfüllt von völlig neuen Empfindungen. Die Geschwindigkeit des Autos und die Konzentration, die das Fahren abver-langt, wirken auf mich wie ein Filter, der eine Einengung der Sinne verursacht, Details verschwin-den lässt und Tuchfühlung zu den Dingen unmöglich macht. Bereits ein kurzes Anhalten am Stra­ßenrand kann Wunder bewirken und mich Natur und Landschaft näher fühlen lassen, aber erst der Entschluss, das Fahren zu unterbrechen, das "Schnelle" in seine Schranken zu weisen und auf "langsam" umzuschalten, hat die Zäsur gebracht und meine Erlebnisfähigkeit wieder gänzlich eingeschaltet.
Plötzlich spüre ich den Wind, der die Feuchtigkeit meines ver­schwitz­ten Hemdes verdunsten lässt und ein leichtes Frösteln hervorruft; ich sehe die Details im Gesicht eines alten Mannes, der auf der Bank vor dem Gemeindeamt (obecní úrad) sitzt und auf ir­gend­etwas, das ver­mutlich nie kommen würde, wartet; ich kann die Weichheit des Bodens am Mol­dau-Ufer unter meinen Schu­sohlen wahrnehmen oder die harten Stei­ne und Wurzeln auf dem ufernahen Pfad und das Rauschen des grünen Wassers.
Mir fallen die tiefen, runden Löcher, die in immer gleichen Abständen in den Boden gerammt wur­den, und mir ein Rätsel aufgeben; die Hinterhöfe, die ich von der Straße aus niemals gesehen hätte; zwei alte Frauen, die neben der Kirche einen Plausch halten, ein liebevolles Kakteen-Arran­gement auf einem Fensterbrett und - es ist schließlich Samstag - ein Fußballspiel auf einer kleinen Wiese unweit der Moldau. Ich schaue zu, ohne wirklich das Spiel zu sehen. Ich sehe in den Spie­lern und den Zuschauern nur eine Kulisse für meine Gedanken, ein Hin und Her bunter Trikots, Stimmen, die ich nicht verstehe, aber deren anfeuernde Absicht auch ohne Worte zu verstehen ist, ich sehe die hübschen, fleischig-deftigen böhmischen Mädchen, die sich am Spielfeldrand ereifern, ich sehe das "ewige" Dorfleben, dass ich in der Anonymität und der Atomisierung der Stadt längst nicht mehr erleben kann.
Genau aus diesem Grund bin ich jetzt hier und genau deshalb hat es mich in dieses Gasthaus (restaurace) Adler nach Rožmberk verschlagen. Nach der langen Fahrt, die mich teilweise auf end-los langen Nebenstraßen oder Waldwegen herumirren ließ und mich kurz vor die Schwelle des Ich-mag-nicht-mehr brachte, habe ich beschlossen hier zu bleiben. Keinen Fuß will ich mehr bewegen, kein Rad mehr drehen.
Und es fällt mir ein, dass ich schließlich zum Ausruhen hierher gekommen bin, zum lesen, schrei-ben, Tschechisch lernen. Was wäre besser, als alle diese Dinge bei einem Glas Bier im Freien und beim Blick auf die Burg Rosenberg zu verbinden? Und siehe da: "Mužete mi ríkat kdy je prohlídka hradu?" (Können Sie mir sagen, wann es eine Führung durch die Burg gibt?), und "ješte jednou otázku" (noch eine Frage), oder "mužete mi prinest jeden caj" (können Sie mir einen Tee brin-gen?).
Ich befasse mich also mit der Sprache. Ist es nicht ein Zufall? In einem Buch über Galizien finde ich den Ausdruck "cmentarz zidowski". Was liegt näher als das italienische Wort cimitero (Friedhof) darin zu finden, und - es war zu erwarten - auf Tschechisch ist "židowski" der genaue Ausdruck für "jüdisch". Weiter vorne im Buch heißt es dann auf Polnisch "za mostem" (an der Brücke). Und wie heißt das Restaurant an der Moldaubrücke? "U mostu". Und ist nicht das tschechische Wort für Brücke, "most" auch im Name der bosnischen Stadt Mostar enthalten?
Faszinierend, welche Zusammenhänge die Sprache ans Licht bringt. Sprache ist wie ein Puzzle. Am Anfang, als nur wenige Teile gelegt sind, hat man keine Ahnung vom Bild, das zusammengesetzt werden muss. Je mehr Teile zusammen kommen, desto mehr kann man ahnen, was die fehlenden Teilen darstellen könnten. Irgendwann hat man dann alle Zusammenhänge erkannt.
Auch beim Wissen über die Geschichte eines Landes geht es nach diesem Muster. Vor einiger Zeit hatte ich etwas über die Schlacht am Weißen Berg gelesen, bei der im Jahr 1621 der Aufstand der Stände von den reaktionären Habsburgern niedergeschlagen worden war; hier in Rosenberg er­fahre ich jetzt, dass aus Dankbarkeit dafür, dass er den Kaiser Ferdinand II im Ständeaufstand unterstützt hatte, General Karl Bonaventura Graf Buquoy durch kaiserliche Verfügung das Schloss als Eigentum bekam. Es blieb dann im Besitz seines Geschlechts bis 1945.
So fügt sich Steinchen an Steinchen, und die Geschichte und die Menschen, die in ihr eine Rolle spielen, erwachen in meinen Gedanken zu neuem Leben.
Aus dem Fenster sehe ich die schwarze Silhouette der Burg vor dem dunkelblauen Hintergrund des nächtlichen Himmels. Mehrere Sterne funkeln bereits in der klaren Nacht. Es riecht nach Holzrauch.
13. Oktober 1996
Auf geht's zur prohlídka hradu (Burgbesichtigung). Der Lauf der Moldau bildet hier in Rožmberk (Rosen-berg) einen s-formigen Mäander: In der ersten Biegung liegt auf dem linken Flussufer der Ort - eher ein Dorf als ein Städtchen -, gegenüber liegen auf einem Bergvorsprung zwei Burgen. Mit dem Bau wurde im 13. Jahrhundert begonnen. Im Jahre 1522 brannte die obere Burg ab - und wurde nie mehr aufgebaut. Übrig geblieben ist nur der zylindrische Turm namens Jakobínka. Die untere Burg, die wir besichtigen, ist hingegen fast vollständig erhalten. Sie besteht aus zwei massiven Quadertürmen und einem Burghof und ist über eine Fallbrücke zugäng­lich. Der letzte Eigentümer war der Graf Buquoy, der die Burg bis zur Ver­trei­bung der Deutschen aus Böhmen im Jahr 1945 bewohnte.
Jetzt, während ich schreibe, sind die meisten Ein­drücke bereits verblasst, andere sind nur noch zu-sammenhanglos in meiner Erinnerung verblieben: Ich versuche gar nicht, aus ihnen eine geschlossene Beschreibung zu machen, sind es doch nur Blitz­lich­ter in meinem Gedächtnis.

Die Burg wurde nach der fünfblättrigen Rose ge­nannt, die deren Gründer im Wappen hatte. Der deutsche Name Rosenberg (rosige Burg) wurde in die Form Rožmberk tschechisiert. Die Rosenberger bauten die Burg in einen wunderschönen Renais­sance­sitz um.
Von der Besichtigung ist mir hauptsächlich der eher unfreundliche Führer im Gedächtnis geblie­ben, der uns litaneiartig Einzelheiten über die Burg und seine Geschichte erzählte: über die "weiße Frau" zum Bei­spiel - Einzelheiten habe ich vergessen -, über Peter Vok, den letzten Rosenberg, oder Jokul de Moley, den letzten Templer, der 1314 in Paris verbrannt wurde. Auch haben sich mir die ein­drucksvolle Kas­set­tendecke und die neugotischen Möbel im Ritter­saal eingeprägt und die beein­druck­en­den Fotos des letzten Eigentümers. Eingeprägt hat sich mir auch das Gespräch mit einer alten Hei­mat­urlauberin aus Hochdorf, die, wie Mutters Freundin Ilse aus Jägern­dorf (Krnov) in Mähren, sich nach der Ver­trei­bung in Mittenwald (Oberbayern) ansiedelte; besonders beeindruck haben mich ihre, auf die einheimische, bayerische Bevölkerung bezo­ge­nen Worte: "die haben uns gehasst".

Jetzt erst, kurz vor meiner Heim­rei­se, komme ich allmählich in Stimmung. Ein warmes Gefühl der inneren Ruhe macht sich in mir breit. Ruhe, die aus der Verlang­sa­mung und der Zeitlosigkeit kommt. Ich wandere die Moldau entlang, lasse mich vom Anblick und den Geräuschen des fließenden Was­sers hypno­ti­sie­ren, beobachte zwei Fliegenfischer, die, grün gekleidet und mit hohen Gummistiefeln, knie­tief im Wasser waten - mit einer schier endlosen Geduld. Alle paar Minuten suchen sie eine an­dere Stelle auf und werfen immer wieder die Angelschnur aus. Ich beobachte sie vom Ufer aus, sitze auf dem feuchten Gras und genieße die Szene wie ein klei­nes privates Theaterstück. Eine Spirale von Wunschgedanken beginnt sich dabei in meinem Kopf zu drehen: fischen, bootfahren, die Natur aus großer Nähe erleben, ich frage mich schließlich, was oder wer mich davon abhält.