Balkanreise  - Reisenotizen von Bernd Zillich   
   
 
   
   
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Bosnien - auf Spurensuche
Die Brücke über die Drina
Finale in den Karpaten
   
 
Bosnien
 
Bosnien und
Herzegovina
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Bosnien-Herzegowina
 
Bosnien-Herzegowina
von Agilolf Keßelring
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Ivo Andric
 
Wesire und Konsuln
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Freitag, 23. Mai
Banja Luka
Die erste Begegnung mit der Republika Srpska (der serbischen Teilrepublik von Bosnien-Her­ze­gowina) ist nicht gerade sanft. Da ich aus reiner Nachlässigkeit nicht in Besitz einer internationalen grünen Versicherungskarte bin, lässt man mich gleich an der Grenze tief ins Portemonnaie greifen und für die Dauer des vorgesehenen Aufenthalts eine entsprechende Versicherung abschließen.
Der Ärger ist kaum verflogen, da werde ich schon von zwei ernst blickenden Polizisten angehalten. Zwar fehlt mir jegliches Empfinden, etwas falsch gemacht zu haben, aber es sieht ganz nach Strafzettel aus. Die beiden Ordnungshüter beherrschen keine einzige Fremdspache und wiederholen nur mit unduldsamer Penetranz mehrmals das Wort "Svetlo", bei dem mir eigent­lich – wegen meiner (dürftigen) Kenntnisse der tschechischen (also einer slawischen) Sprache - ein "Licht" aufgehen müsste. Das ist wörtlich gemeint, denn offensichtlich muss man in Bosnien auch tagsüber mit eingeschalteten Scheinwerfern fahren. Mein lautes "Da" und das reu­mütigste Gesicht, wozu ich fähig bin, scheinen keine Wirkung zu zeigen: die derben slawischen Gesichter bleiben streng. In dieser Atmosphäre von eingefrorener Verlegenheit blicken die Beiden noch einmal genauer auf meinen Führerschein, finden dort das Zauberwörtchen "Dr." vor meinem Namen und fragen mich schließlich: "Doktor?" Als ich nach kurzem Zögern bejahe, entspannt sich die Situation wie von Zauberhand und die Mundwinkel von einem der Gesetzeshüter verziehen sich zu einem zaghaften Lächeln. Ich darf - sind das Überbleibsel von Obrigkeitsdenken? - weiter­fahren.
Als wolle dieses Land alles tun, um mich loszuwerden, folgt wenige Kilometer darauf unbarmherzig der nächste Schlag. Um das verständlich zu machen, muss ich einleitend bemerken, dass der Na­me "Banja Luka" eines jener Wörtchen ist, die unweigerlich eine Kette von Reaktionen in meinen Gedanken auslösen, war doch mein Großvater, Major in der Österreichisch-Ungarischen Armee, 1914 hier stationiert. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, betraf eine seiner ersten Handlungen die Sicherung der Militärbahn Banja LukaDöberl, was er mit einer bosnischen Landsturmabteilung bewerkstelligen musste. In seinen Worten:
"In der Kaserne sammelte ich also die betreffende Mannschaft und wir bestiegen den Zug. Wo es nötig war laut Plan, ließ ich den Zug halten, stellte die Wachen auf, war natürlich Objekt allgemeiner Aufmerksamkeit und fuhr so bis Omarska. Damit war meine Aufgabe beendet, ich fuhr mit dem Gegenzug nach Banja Luka zurück, traf um 18 Uhr dort ein. In der Station Vorstadt erwartete mich ein hübsches Mädchen, reichte mir auf einer Tasse einen kalten Imbiß und Stückchen Torte mit dem Bemerken: man wisse, daß ich seit früh nichts gegessen habe, ich möge es als ersten Kriegsdienst annehmen."
Was könnte ich mir also Romantischeres vorstellen als einen ratternden schwarzen Zug, der, von einer museumsreifen und weißen Dampf emporschießenden Lokomotive gezogen, in einen ver­schla­fenen alten Bahnhof einfährt und nur darauf wartet, von mir zu Gedenkzwecken fotografiert zu werden? Ich bin ja bescheiden, mit dem hübschen Mädchen rechne ich keinesfalls.
Nur ist das mit dem "Eintreffen" in Banja Luka auch so eine Sache. Nicht nur, dass sich fast die gesamte Strecke von der kroatischen Grenze bis zur Stadtgrenze kaum von einem Gewerbegebiet unter­scheidet, auch die Stadt selbst könnte man als ein solches bezeichnen, so sehr gleicht sie einem ausufernden Siedlungsbrei ohne Form und Gestalt, so gnadenlos wurde sie von der Ge­schich­te und dem Fortschritt niedergewälzt. Von diesem ersten Eindruck schlagartig gelähmt, will ich es mir gar nicht erst zumuten, den Bahnhof zu suchen. Nur einen Augenblick geht mir durch den Kopf, ich könnte stattdessen, meinem Großvater zum Gedenken, die Sicherung des zwanzig km nördlich gelegenen Flughafens ins Auge fassen. Woher aber die Mannschaft dazu auftreiben?
In Anbetracht der erwähnten Landschafts- und Stadtverunstaltung stehe ich knapp davor, mein Bosnien-Abenteuer kurzerhand abzubrechen. Aber das Schicksal will es anders mit mir, so wie dieses es 1914 mit meinem Großvater anders wollte, als ein gewisser Oberst Schnitzler ihn mit der Sicherung der Straße Banja-Luka – Jaice beauftragte:
"Diesmal war ich ganz auf mich angewiesen und da gab es genug Laufereien um alles Nötige: Fuhrwerke, Kochgelegenheiten, Verpflegung, Ausrüstung für die Mannschaft, zu beschaffen. Gleich am ersten Tag hatte ich beim Steueramt 40.000 Kronen zu beheben. Ungefähr 5. August hatte ich die Leute, junge und alte, beisammen, man drängte auch schon, daß ich hinaus­mar­schiere. Eigentlich war es ein undisziplinierter Haufen, aber es mußte gehen. Also ging ich los. In zweitägigem Marsch hatte ich die Straße gesichert (71 km), alle Tunnels und Brücken besetzt. Ich selbst saß mit meinem Stabe in Bocac, ein halbwegs in der Mitte befindliches Gasthaus."
Es muss also auch für mich weitergehen. Ich veranschlage für mich allerdings keinen zweitägigen Marsch, schließlich ist die Straße in einem besseren Zustand als vor 94 Jahren und mein "Fuhr­werk" ist motorisiert. Was die Verpflegung betrifft, würde ich vielleicht auch jenes Gasthaus in Bocač aufsuchen können. So fahre ich weiter, in der stillen Hoffnung auf ein Wunder.
Unmittelbar nach Banja Luka löst sich der dichte, stinkende Verkehr wie in nichts auf, die Straße verengt sich, die Zersiedelung verschwindet wie von Zauberhand, und aus der Ebene wird ein von dunkelgrünen und dicht bewachsenen Berghängen flankiertes enges Flusstal. Im ersten Ort, den ich durchfahre, thront im klaren Licht des Nachmittags am anderen Flussufer majestätisch eine Moschee. Der Anblick hat etwas Märchenhaftes. Ich fühle mich, als wäre ich schlagartig ins Mor­gen­land versetzt worden. Hier entlang des Vrbas-Flusses muss Großvaters Kompanie marschiert sein in jenen ersten Tagen des großen Krieges. In Bocač bezog er Quartier. Ob es auch noch ein einziges Haus gibt, das er auch sah? Alle Spuren sind verwischt. Die Straße ist gut ausgebaut, die Dörfer sind von einer Ansammlung vereinzelter Häuser zu größeren Siedlungen angewachsen. Der Fluss fließt zwar immer noch ungezähmt, aber die Freizeitindustrie hat sich längst seiner be­mäch­tigt. Im Juli sollen hier die Europameisterschaften im Rafting stattfinden. Spuren kann ich nur in meinen Gedanken finden, ich denke sie mir bewusst in diese wilde Schlucht hinein, lasse dabei die Straße zu einem Maultierpfad mutieren, setze den männlichen Einwohnern der Ortschaften ge­dank­lich einen Fez auf den Kopf, stülpe den Frauen die klassische Pluderhose über, und lasse ein paar Pferdegespanne gemächlich an mir vorbeiziehen.
Während ich mein Auto den Fluss entlang in Richtung Süden lenke, wächst meine Begeisterung mit jedem gefahrenen Kilometer. Denn die vorbeirauschende Landschaft scheint zweifelsohne aus der Feder Karl Mays entsprungen zu sein, so sehr lässt sie mich an "Die Schluchten des Balkan" denken. Auch das Wetter ist Teil der Inszenierung eines Abenteuerromans: Anfangs ist es klar, dann fängt es an zu tröpfeln und schließlich verwandeln bedrohliche Kumulus-Wolken die Landschaft definitiv in die Kulisse einer Theateraufführung. Kurz vor Jajce führt mich eine Umleitung weg vom Fluss und gleichzeitig hinein ins Nichts, nämlich direkt in einen Wolkebruch, der Orte und Zeit minutenlang völlig verschwinden lässt. Und weil ich wegen des kleinen Maßstabs und der Ungenauigkeit meiner Straßenkarte nicht mehr richtig weiß, wo ich mich befinde, wirken die nur schemenhaft er­kenn­baren schwarzgrünen Bergrücken besonders bedrohlich. Es ist, als würde ich von einem nassen, grauen Vorhang aufgesogen, als ob ich aus der Realität verschwinden und in die Unterwelt ein­treten würde. Frei nach Dantes Göttlichen Komödie: "Auf halbem Weg nach Jajce fand ich mich in einer finstren Welt verschlagen, weil ich vom rechten Weg mich abgewandt". Solche Situationen gehen mir tief unter die Haut. Eine stille Begeisterung nimmt mich in ihre Gewalt.
Jajce
Da ich große Erwartung auf die UNESCO-Kandidatin Jajce gesetzt habe, ist die Enttäuschung um so größer. Es beginnt mit dem scheußlich-modernen grellfarbigem Hotel Turist, das wie eine Faust ins Auge die Kulisse der Burg verschandelt. Dann geht es Schlag auf Schlag. Die Hauptstraße des stare mesto (der Altstadt) hat den Charme eines Fastfood-Tempels. Ein modernes architektoni­sches Ungeheuer neben dem anderen, Pizzerias neben Bars und Hamburger-Schuppen, Banken und Plattenbauten in trautem Nebeneinander. Ein Schlag in die Magengrube! Aber die späte Stunde lässt mir keine andere Wahl, als hier zu übernachten. Ein aus dem Nichts aufgetauchter freund­licher, Deutsch sprechender Herr empfiehlt mir das Hotel "Stare Mesto", direkt gegenüber der Moschee, wo ich kurzerhand ein Zimmer beziehe.
Es ist der abendliche Allahu-akbar-Ruf vom Minarett der gegenüber dem Hotel stehenden Moschee, der einen Stimmungswandel bei mir einleitet. Dieser Ort hat etwas Absurdes. Viel an intakter historischer Bausubstanz ist ihm zwar kaum geblieben, aber er strahlt trotzdem in vielen Details Geschichte aus und regt daher meine Fantasie an. Ich muss nur die bewährte Technik des tak­tischen Blickabwendens einsetzen, die Scheußlichkeiten der schäbigen Moderne mit etwas menta­ler Geschicklichkeit wegdenken, und schon können die richtigen Bilder in meinem Kopf entstehen.
Im einzigen gemütlichen Restaurant des Ortes füllen orientalisch anmutende, an griechische und türkische Musik erinnernde Klänge den Raum. Eilig trinke ich den ersten Schluck Rotwein, um den In-Frieden-mit-der-Welt-Effekt zu verstärken. Denn noch immer weiß ich nicht, ob ich den Para­dig­menwechsel vollzogen habe: weg von den klar definierten Erwartungen an diese Reise, hin zur Komme-was-wolle-Attitüde. Die Vernunft rät mir zu letzterem, denn so vollgepackt mit Zielen und klar definierten Absichten wie ich bin, würde mich die Realität nur unnötig frustrieren.
Samstag, 24. Mai
Besichtigungen
Ob das stimmt, dass man noch heute, dreizehn Jahre nach Beendigung des Krieges, die befes­tig­ten Straßen rund um Jajce wegen möglicher Landminengefahr niemals verlassen sollte? Nach den Daten des Landmine Impact Surveys galt 2007 noch ca. 4,4% Bosniens als minenverseucht. Ich kann mir aber nicht wirklich vorstellen, dass in der Umgebung dieser Stadt, die bis zur Eroberung durch das Osmanische Reich die Hauptstadt und der Sitz der Könige Bosniens war und heute  durch den Pliva-Wasserfall, die mittelalterlichen Befestigungsanlagen und die Pliva-Seen zu einer Touristenattraktion ersten Ranges geworden ist, die Gefahr nicht beseitigt wurde.
So stapfe ich, nur um die beste Perspektive von Ort und Wasserfall ausfindig zu machen, stoisch mit der geschulterten Kamera von der Straße hinunter zum Flussbett der Vrbas, teils im tiefen und feuchten Gras, teils im niedrigen Gebüsch des Ufers oder von Stein zu Stein, und zerkratze mir dabei alle unbedeckten Teile des Körpers. So blöd können die Kriegsparteien nicht gewesen sein, dorthin Minen zu verlegen, wo sich nur ein unbedarfter Tourist hinbegehen würde.
Die Innenstadt von Jajce besteht hauptsächlich aus Trümmern und Überresten kommunistischer Plattenbauten, aus stillgelegten Fabriken, osmanischen Befestigungsmauern und vielen Fastfood-Betrieben, aus denen laute, gar nicht orientalisch klingende, dafür aber um so laute Popmusik dröhnt. Man muss sich zu diesem Ort die Geschichte, wie bereits erwähnt, dazu denken, so groß sind die Lücken und die Verschandelung. Und dennoch suggerieren gerade diese Leerstellen, die Überreste der Befestigungsmauer, das Kastell und die in den Hang gekauerten, halb verfallenen oder halb wiedererrichteten Häuschen im türkischen Stil gerade das: dass Jajce eine ehemalige Königsstadt ist. 
Beobachtungen
Der Cappuccino - ich weiß, das es ein Stilbruch ist, hier keinen "türkischen" Kaffee zu bestellen - duftet nach Zimt. In dieser bereits fast sommerlich anmutenden Mittagsstunde sitze ich völlig ent­spannt im Schatten einer Markise und beobachte das Wenige, was sich in diesem ver­schlafenen Ort vor meinen Augen abspielt. Es ist eigenartig. Ich bin kaum zwei Tage in dieser Gegend, und schon habe ich den Eindruck, in der Physiognomie und im Erscheinungsbild der Menschen deren typische Merkmale erkennen zu können, ihre charakteristischen Gesichtszüge also, die Haut- und Haarfarbennuancen, den Konstitutionstyp, die Haltung.
Es ist auffällig, wie viele großgewachsene Männer mit äußerst kräftigem Körperbau auf den Stra­ßen zu sehen sind. Wegen ihrem robusten Brustkorb und den breiten Schultern könnte man mei­nen, es seien allesamt Ringer oder Bodybuilder. Ihre Gesichtszüge sind grob, die Augen nicht selten fahlblau, die Schädel, die sie gerne kurzgeschoren tragen, schmäler als bei den Kroaten.
Was das weibliche Geschlecht betrifft, sticht ins Auge, dass nicht wenige Frauen mit außer­ge­wöhn­licher "Prominenz" gesegnet sind (etymologisch aus lat. pro-minere, vorspringen), was ent­spre­chend aufwendige Stützmaßnahmen erfordert. Zu untersuchen, weshalb die Evolution dieses körperliche Merkmal in man­chen Populationen häufiger als in anderen hervor­ge­bracht hat, wäre meines Erachtens ein interessantes Forschungsziel. Ob die Vorliebe der Orien­talen für üppige Formen "darwinistisch" auf diese Entwicklung Einfluss genommen hat?
Deutsch gesprochen
Allein ist man hier eigentlich nie wirklich, jeder zweite Kellner, Hotelier, Baggerführer oder Laden­inhaber spricht ein mehr oder weniger gebrochenes Deutsch. Sie alle waren einmal in Deutschland oder Österreich, als Gastarbeiter der ersten Generation oder als "Flichtling" während des brutalen Krieges gegen Serbien, und kamen dann - nicht immer freiwillig – nach Bosnien zurück, immer mit viel Hoffnung, manchmal mit etwas angespartem Geld. Schnell ist man in ein Gespräch verwickelt, erfährt etwas über ihr Schicksal und muss seinerseits den Grund des Besuches offen legen. Sie kommen zurück, manchmal für immer, als Rentner, oder um ein Geschäft zu eröffnen, oder nur zu Besuch bei Schwester, Mutter, Onkel, Cousine. Einmal spricht mich eine kugelrunde Wahl­öster­rei­che­rin in breitem Wiener Akzent an, ein anderes Mal eine Frau, deren Tochter in Konstanz studiert: Ob ich verheiratet sei ... Man weiß ja nie!
Auf dem Kastell begegne ich einer kleinen Sippe, die sich munter während der Besichtigung auf Bosnisch unterhält. Naturgemäß verstehe ich kein Wort. Plötzlich, als sich die Jüngste etwas über die Brüstung beugt und in die Tiefe guckt, ein Satz in akzentfreiem Deutsch: "Ich hab Angst!"
Auf ein Bier
Als ich am späteren Nachmittag von der Burg wieder den Weg hinunter zum Hotel suche, werde ich von zwei Männern in eine Art Gartenhäuschen gewunken und auf ein Bier eingeladen. Mujo, An­fang sechzig, musste, nachdem er sieben Jahre lang als Lkw-Fahrer in Deutschland gelebt hatte, beim Tod sei­ner Eltern zurück nach Bosnien kommen, um das Haus zu übernehmen. Hier lernte er schließlich die 13 Jahre jüngere Hadzija, seine spätere Frau, kennen.
Als ich frage, ob ich fotografieren dürfte, will er sie zuvor noch rasch zu uns holen. Sein Neffe Muhammed – ein Name, der die Frage der Religionszugehörigkeit klärt - klingelt sie per Handy vom nur 10 Meter entfernten Haus zu uns herüber. Er ist bereits ein wenig angeheitert, spricht etwas undeutlich, aber man kann ihm eine gewissen Humor nicht absprechen. Als Mujos Frau sich zu uns gesellt, bin ich angenehm überrascht. Ihre etwas schweren aber angenehmen Rundungen, ihr schlichtes, aber nettes Gesicht lassen vermuten, dass sie als 17jährige zum Zeitpunkt ihrer Hoch­zeit ziemlich attraktiv war. Mujo ist ganz stolz auf sie, deutet aber an, dass sie nicht beson­ders mit ihm zufrieden war, weil er, als Fernfahrer, doch so oft von zu Hause weg war. Dabei zwinkert er mir verschmitzt zu.
Nach dem Fotografieren bereitet Hadzija uns noch einen echten bosnischen Kaffe zu. Man muss lernen, ihn zu trinken, damit einem nicht der Satz zwischen den Zähnen knirscht.
Bevor wir uns verabschieden, legt mir mein Gastgeber noch seine Pension ans Herz, die immerhin in einem mithilfe der UNESCO renovierten Haus untergebracht ist, und einen herrlichen Blick auf die Stadt aufweist. Nur siebzehn Euro pro Übernachtung! "Frihstick im Preis"!
Sonntag, 25. Mai
Turbe
Nach schweißtreibenden Kilometern in der aufgestauten Hitze des Autos, platze ich in Turbe, gera­de in dem Augenblick, als vom Minarett eine tiefe Stimme den Allahu-akbar-Ruf über die Gläu­bi­gen ausschüttet, in ein islamische Volksfest hinein. Könnte ich da der Versuchung, mir im Schatten eines Sonnenschirms eine vor meinen Augen zubereitete Portion Cevap einzuverleiben, widerste­hen? Und auch hier findet sich bald jemand, der ein paar Brocken Deutsch mit mir spricht, war er doch "Flichtling" in Deutschland oder Österreich während des Serbisch-Bosnischen Krieges.
Travnik
Eine Stadt, die auf eine sehr bewegte Geschichte zurückblickt. Sie war lange Zeit Hauptstadt und Militärzentrum des Osmanischen Reichs in Bosnien und Herzegowina. Für mich ist sie aber die Stadt, in der mein Großvater 1914 nach den ersten Kampfhandlungen wegen einer Knie­ver­letzung ins Krankenhaus kam: "Unser Ba­taillonsarzt und der Proviantoffizier bemühten sich um mich, ich bereitete mir ein Lager in so einer ver­lassenen Deckung, mußte liegen und machte fleißig Umschläge. Diese Episode verbrei­tete dann die Nachricht, daß ich einen Bauchschuß abbe­kommen hätte und mein Bruder, welcher schon verwundet in Mährisch Schönberg war, schrieb, ich solle bald dorthin kom­men. Ja, in Banja Luka war die Nachricht verbreitet, ich sei in das Spital nach Tra­vnik ge­kommen und dort gestorben."
Ich lese im Reiseführer, dass "die Kriege in Stadtbild Spuren hinterlassen haben", so dass "sich heute im Ort auch moderne Gebäude finden". Das ist eine grobe Verniedlichung der Tatsache, dass das gesamte Stadtzentrum rechts von der Hauptstraße zum großen Teil aus verwahrlosten Wohnsiedlungen besteht, quaderförmigen, schmutziggrauen Gebäuden, die einen Eindruck von umfassender Trostlosigkeit vermitteln und in puncto Hässlichkeit nur von den moderneren öffent­lichen Bauten und Kaufhäusern übertroffen werden. Weder der berühmte Uhrturm, die Hadži-Ali-Beg-Moschee, noch die Turbeta, das Grabmal der Wesire, können dies Wettmachen und dem Stadtviertel seinen orientalischen Charakter zurückgeben.
Glücklicherweise kann ich mich von diesem architektonischen Schock sehr rasch erholen, als ich mich auf den Weg zur Hauptsehenswürdigkeit der Stadt mache, der mittelalterlichen Festung. Auf dieser – nördlichen - Seite der Stadt erstreckt sich am Berghang ein Ortsteil, der sich wie durch ein Wunder einen nahezu dörflichen Charakter bewahrt hat. Es ist ein Gewirr von Gassen und steilen Treppen, die zwischen Hinterhofgärten und bescheidenen kleinen Häusern hinauf zur Fes­tung führen. "Alles ist steil und unregelmäβig, verkreuzt und verflochten, verbunden oder unter­brochen durch private Wege, Zäune, Straßen, Gärten und Türen, Friedhöfe und Gotteshäuser", so beschrieb es Ivo Andric, Nobelpreisträger und berühmtester Sohn der Stadt. Die zahlreichen Minarette, die zwischen den Dächern gegen den Himmel ragen, verstärken noch diesen Eindruck von historischer Unversehrtheit. Auf einen Schlag habe ich die schäbige Moderne hinter mir ge­las­sen und bin in den Orient eingetaucht.
Die Festung, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Verteidigungsanlage gegen türkische Angriffe errichtet wurde, befindet sich auf einer natürlichen Anhöhe, die von drei Seiten mit Was­ser­läufen umzäunt ist, was zusätzlich den Zutritt erschwert.
Der Blick von der Festung hinunter zur Stadt ist überwältigend. Am südöstlich Ufer des Lašva-Flusses sieht man noch eines der letzten altbosnischen Stadtviertel. Dort ist der altbosnische Baustil mit den würfelförmigen kleinen Häusern und ihren spitzen Dächern noch erhalten geblie­ben. Jetzt erst kann ich verstehen, weshalb Travnik einst von den Reisenden als das europäische Istanbul bezeichnet wurde.
 
 
 
 
     
         
An der Vrbas An der Vrbas An der Vrbas An der Vrbas An der Vrbas Pliva-See Jajce Jajce Jajce Jajce Jajce Jajce Jajce Jajce Jajce Turbe Turbe Turbe Travnik Sarajevo Sarajevo Travnik Sarajevo Sarajevo