Reisebericht von Bernd Zillich    
   © | Reisebericht | Home
   
         
       
 
 
Intermezzo in Kärnten
Škofja Loka (Slowenien)
Die Plitvicer Seen (Kroatien)
Wiedersehen mit Bosnien
Mostar (Bosnien)
Međugorje (Herzegowina)
Republika Srpska (Bosnien)
Crna Gora / Montenegro
Albanien - Erste Eindrücke
Albanien - Tirana und Berge
Ohrid (Mazedonien)
Mazedonien - der Süden
Kavala (Griechenland)
Melnik/ Kloster Rila (Bulgarien)
Im Rila-Gebirge / Die Rückfahrt
   
>
Mazedonien, Autokarte 1:200.000,
 
 
Reiseführer Mazedonien: Unterwegs auf dem südlichen Balkan (Trescher-Reihe Reisen)
Reiseführer Mazedonien: Unterwegs auf dem südlichen Balkan (Trescher-Reihe Reisen)
   
Die Balkankriege 1912/13
Die Balkankriege 1912/13
   
EuroNatur-Reiseführer Prespa-Ohrid-Region
EuroNatur-Reiseführer
Prespa-Ohrid-Region
 
 
 
Freitag, 29. Mai
Mazedonien
Captain Cook“ hat vergeblich versucht, mich zu überzeugen, mit seinem Boottaxi hi­nü­ber zur Altstadt zu fahren, denn es ist windig, kalt, ein Wolkenbruch scheint knapp be­vor­zu­ste­hen, und al­lein der Gedanke, auf dem Wasser von einer Dusche erwischt zu werden, lässt mich er­schau­dern. Weit hinten auf dem See erzeugen bedrohliche dunkle Wolken ein fan­tas­tisches Bild, das um ein vielfaches inspirierender auf mich wirkt als das übliche An­sichtskartenwetter.
Bild vergrössern Bild vergrössern Bild vergrössern
Aber eines nach dem anderen: Der Grenzübertritt nach Mazedonien verlief problemlos, wenn auch bei strömendem Regen, der wohl keinen meiner Reisetage verschonen will. Aber bereits der Charakter der Landschaft machte mich friedfertig, schien diese doch plötzlich völlig anders, weiter, sanfter, eines hellen Grüns, mit Wiesen und von Klatsch­mohn besprenkelten Kornfeldern: alles in allem eine Kulturlandschaft, in starkem Kon­trast zu den wilden Abgründen und steilen Bergflanken des östlichen Albanien. Und zu­sammen mit dieser Wildheit war auch das Trostlose der Dörfer und Städte schlagartig ver­schwun­den. Keine von Ruß geschwärzten Wohnblocks aus den 1950ern, kein Ein­druck von Schäbigkeit und hoffnungsloser Armut.
Bild vergrössern Bild vergrössern Bild vergrössern
Und doch verflog dieser Anflug von positiven Gefühlen sehr schnell, als ich am Ufer des Ohrid-Sees entlang fuhr und sich der Regen wie ein mitteleuropäischer Dauerregen an die Land­schaft festzukrallen schien. Einen Tiefpunkt erreichte meine Laune bei der ver­regneten (und teuren) Be­sich­ti­gung der musealen Rekonstruktion einer Pfal­bau­sied­lung aus der späten Bronze- bzw. frühen Eisenzeit um 1200-600 v. Chr. Bin ich 2000 Kilo­meter gefahren nur für dieses bisschen Besichtigen?
Samstag, 30. Mai
Ohrid
Ohrid gilt als die Perle unter den mazedonischen Städten. Die gut erhaltene Altstadt, die Festung mit Rundblick, die vielen Kirchen, Klöster und Moscheen sowie der große, Mil­lio­nen Jahre alte See ziehen Fremde aus der ganzen Welt an. Die UNESCO erklärte 1979 den Ohridsee und ein Jahr darauf die Umgebung des Sees zum UNESCO-Welterbe.
Bild vergrössern Bild vergrössern „Am Ufer des landschaftlich über­aus reizvollen Ochridsees liegt die Stadt Ochrid, die sich amphi­the­a­tra­lisch über einen bis an den See heranreichenden Hügel erstreckt. Hoch über den wie Schwalben­nes­ter an den Steinhang klebenden Häusern thront die alte Festung des Zaren Samuil. Wenn man durch das bezaubernde Win­kelwerk der Gäßchen wandert, sprechen rissiges Mauerwerk, bloßgelegte Backsteinziegel und Holzsparren, die hoch­stre­bender, uralter wilder Wein und schwerhängende Glyzinien schamhaft zu überdecken scheinen, eine beredte Sprache von dem einstigen, seltenen Patrizierreichtum. Bis zu vier Stockwerken streben die Häuser in die Höhe, zusammengedrängt auf einen möglichst kleinen Platz, so daß man sich von den Balkons und den Emporen unschwer die Hände zu reichen imstande war.“
George und sein Wassertaxi
Bild vergrössern Bild vergrössernEs ist Zeit, dass ich erläutere, weshalb ich überhaupt diese zweitausend Kilometer lange Strecke von München bis hier­her ge­fah­ren bin. Warum ha­be ich mir das angetan?
Es mag merk­würdig klingen, aber die Idee zu dieser Reise kam mir durch einige alte Fotos, die mein Vater, der in den 1940er Jahren umfangrei­che Reisen in den Balkan unternommen hatte (er war Bild­be­richt­er­stat­ter der "Wiener Illus­trier­ten"), damals geschossen hatte.
Mir war selbst­ver­ständ­lich klar, dass er eine Welt fotografiert hatte, die ich nicht er­war­ten konnte, wie­derzufinden. Als ich aber in das Wassertaxi von „Captain Cook“ (ei­gent­lich Alexander) einsteige, kurz darauf vom See aus auf den Ort blicke und dabei die­sel­be Aussicht eines von Vaters Bildern erlebe, überkommt mich augenblicklich eine so starke Rührung, dass ich die Tränen nur mit Mühe zurückhalten kann.
Der kurze Beschreibungstext von weiter oben stammt übrigens von einem Artikel mei­nes Vaters in der Wiener Illustrierten.
Alexander erweist sich als sehr gesprächig, was für mich eine gute Gelegenheit ist, das Leben im Lande aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich höre ihm gespannt zu.
Er habe viele Jahre in einer Fabrik gearbeitet, aus der er, weil er zu viel redete – in anderen Worten, seine Chefs zu sehr kritisierte –, mit einer Abfindung von umgerechnet 2000 DM rausflog. Das war 2003. Mit diesem Geld habe er dieses Boot gekauft, und seitdem schippere er tagein und tagaus die Touristen entlang der Küste dieser wun­der­baren Stadt. Freilich fiele es ihm schon seit Langem schwer, immer wie­der dieselbe Strecke zu fahren und dieselben Sachen zu er­zählen.
Bild vergrössernBild vergrössernEr ist einer der Vielen, mit denen ich gesprochen habe, die den Zeiten des Sozialismus nachtrauern. Es hätte frü­her Arbeit für alle gegeben, we­ni­ger Kriminalität und soziale Sicherheit. Alexander wiederholt mir das Gleiche, was ich in anderen Ländern des ehe­ma­ligen Ostblocks gehört hatte: Wie die Machthaber von damals bei der Privatisierung das Allgemeingut in ihren Besitz nahmen. Kri­mi­nelle seien es gewesen, ohne Ausnahmen!
Nikola
Als ich vom grellen Licht des Hauptplatzes ins Café eintrete und meine Augen gerade versuchen, sich an die rauchgeschwängerte Dunkelheit zu gewöhnen, donnert mir von einem Tisch in der Ecke eine Stimme entgegen, die mich fragt, woher ich komme. Als ich "Deutschland" antworte, kommt wie aus dem Maschinengewehr geschossen die Ant­wort: "Heil Hitler!", "Sieg Heil!" Es dauert nicht lange und ich sitze mit einigen Männern und deren Frauen an einem Tisch und werde auf ein Bier eingeladen.
Nikola, so heißt der Mann, hat etwas von Bud Spencer in seinem Erscheinungsbild und eine Stimme wie eine Mischung aus Kreissäge und Donner. Er spricht ein einfaches Eng­lisch mit einem derart rollenden "R", dass bei manchen Wörtern mein Brustkorb fast in Resonanz tritt. Nach wenigen Sätzen bin ich bereits sein "Brrrotherrr", und er verleiht jeder seiner Behauptungen Autorität, indem er mich fest am Oberarm packt oder mehr­mals auf die Schulter klopft. Er entschuldigt sich zwar für seinen ersten Satz, aber ich bin mir nicht sicher, ob er mich auf den Arm genommen hat oder nicht.
Booking.com
Ich erhalte einen Schnellkurs in Geschichte. Danach seien die drei größten Männer der Weltgeschichte Alexander der Große (war der denn nicht aus Mazedonien?), Stalin und eben Hitler. Als ich frage, was denn Hitler und Alexander gemeinsam hatten, so nennt er mir drei Fakten: Zum einen, behauptet er und streckt dabei den Arm zum Hitlergruß aus, hätten sie die gleiche Art zu grüßen, zum Zweiten sei das Hakenkreuz auch das Sym­bol von Alexander gewesen, nur entgegen dem Uhrzeigersinn, und zum Dritten hat­te Hitler die gleiche Militärstrategie wie der illustre Mazedonier.
Seine Deutschlandliebe ("my brothers") sei auf seine Familiengeschichte zurück­zu­füh­ren, als ein deutscher Soldat im Zweiten Weltkrieg seinem Großvater das Leben rettete. Nach dem Krieg kam dieser deutscher Soldat nach Ohrid zu Besuch und wurde von sei­nem Großvater wie ein Sohn aufgenommen. Als ich versuche, das Bild Deutschlands etwas vom Nationalsozialismus zu trennen und von der derzeitigen Kanzlerin spreche, hat er auch für sie nur begeisterte Worte: "A good friend of Macedonia, a grrrreat wo­man!". Als ich erwähne, dass mein Vater während des Krieges hier in Ohrid war und ich letztlich auf seinen Spuren unterwegs bin, will seine Begeisterung kein Ende neh­men. Er übersetzt die Geschichte an alle Anwesenden und nimmt anschließend mei­ne Hand fest zwischen seinen Händen und führt sie zum Herz! "My brrotherrrr!"

Kurz bevor ich mich verabschiede, offenbart mir Nikola, dass ihm, als er mich noch vor unserem Treffen auf der Straße gesehen hatte, augenblicklich ein Gedanke durch den Kopf schoss: "Adolf Hitler!" Nur scha­de, dass ich aus Diskretionsgründen ein Foto dieses exzentrischen Menschen nicht auf diesen Seiten veröf­fent­lichen möchte.

Kurz bevor ich mich verabschiede, vertraut mir Nikola noch an, dass er, unmittelbar als er mich auf der Straße vorbei gehen sah, sofort den Gedanken hatte: "Adolf Hitler!" Nur scha­de, dass ich aus Diskretionsgründen ein Foto dieses exzentrischen Menschen nicht auf diesen Seiten veröf­fent­lichen kann.
Abschiedsspaziergang
Bild vergrössernBild vergrössernWährend ich an diesem Sams­tagabend am Kai Marschall Tito leicht fröstelnd (12° C) zurück ins Hotel schlen­dere, gerät mir der Ge­ruch von gebratenem Fleisch in die Nase. Der abneh­men­de Mond schaut wie in ei­nem Märchen auf den nächtlich schwarzen See hinunter und es ist mir merkwürdig ums Herz. Und noch seltsamer ist der Gedanke, dass vor mehr als sechzig Jahren mein Vater diese Stadt sah, aber es diese Promenade am See noch nicht gab, nicht die Cafés, Bars, Restaurants und die Touristen. Es war noch eine andere unverwechselbare Welt. Und dass diese Welt verschwunden ist, die damals hier lebenden Menschen ebenso, das erzeugt ein noch merkwürdiges Gefühl.